„Wir tun es überall und das gefällt uns!“ – Die Ode an’s Stillen

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Mir liegt schon länger ein heißdiskutiertes Thema am Herzen. Ein Thema, für das es im manchmal-so-verklemmten Amerika sogar eine eigene Initiative gibt. Dass mich aber eine Schlagzeile in der „Heute“ endgültig zum Tippen veranlassen würde, hätte ich nicht gedacht. Als stillende Mutter erregen manchmal eben Artikel das Gemüt, über die man früher vermutlich fast hinweggelesen hätte.


Sehr geehrte vermeintliche Security-Mitarbeiterin,
sehr geehrte GegnerIn des Stillens in der Öffentlichkeit,

ich weiß nicht, ob Sie dieser Brief unschuldig trifft, da ich den Wahrheitsgehalt eines Vorkommnisses, bei dem ich nicht unmittelbar beteiligt war, nicht hinreichend prüfen kann. Falls Sie „unschuldig“ sind und nur durch falsche Berichterstattung der Zeitung o. ä. zum Handkuss kommen, so fühlen Sie sich bitte einfach nicht angesprochen – da Ihre Anonymität durch diesen Brief gewahrt bleibt, dürfte das nicht allzu schwer sein.

Meine Tochter ist 10 Wochen alt und ich stille sie nach wie vor „voll“. Das bedeutet, dass sie keinerlei Tee oder Pulvermilch trinkt. Sie bekommt ausschließlich die Brust – weil das das Beste für unsere Kleinen ist. Mein Kind kennt keine gesellschaftlich aufgedrückte Etikette und trägt keine Armbanduhr. Ihr ist es egal, ob ihre Mutter einen Termin hat, einkaufen geht, zum Zahnarzt muss… es wäre ihr sogar völlig wurscht, wenn ich pünktlich vor Gericht erscheinen müsste! Wenn der Magen knurrt, dann schreit sie um ihr Leben. Genau so lange, bis sie die Brust bekommt und genüsslich schmatzen kann. Vorher hört sie nicht auf. Völlig zurecht, wenn Sie mich fragen. Und da ich als Frau im 21. Jahrhundert nicht gedenke, mich daheim mit meiner Tochter einzusperren und nicht mehr am öffentlichen Leben teilzunehmen, bekommt sie die Brust. Egal, wo wir sind.

Vielleicht fragen Sie sich jetzt, warum ich mich mit ihr dafür nicht auf’s WC zurückzuziehe? Ich stelle die Gegenfrage: Möchten Sie auf der Toilette essen? Dachte ich mir. Ein Kind zu stillen ist nichts, wofür wir Frauen uns schämen und verstecken müssten – ganz im Gegenteil. Wir sollten stolz auf diese Fähigkeit sein und sie zelebrieren, denn sie ist nicht selbstverständlich. Auch wenn die weibliche Brust über die Jahrhunderte sexualisiert wurde und „man“ uns Frauen ihre Verhüllung nahelegt, dürfen wir nicht vergessen, wofür sie eigentlich da ist: Das Stillen ist die ursprünglichste Funktion, die so eine Brust erfüllen kann. Ihre Sexualisierung sollte dieser Tatsache keinen Abbruch tun.

In den USA ist das Stillen in der Öffentlichkeit zwar per Gesetz erlaubt, es stößt aber nach wie vor oftmals bestenfalls auf Ablehnung. Einige amerikanische Mütter haben daher beschlossen, der Verklemmtheit den Kampf anzusagen. Das „Public Breastfeeding Awareness Project“ ist nur eine der daraus resultierenden, ambitionierten Initiativen. Unter dem Hashtag #PBAP2014 können Sie sehen, welche Ausmaße das Projekt bisher angenommen hat und wie „mutig“ die teilnehmenden Mütter sind. Irgendwie schade, dass man für’s Ernähren seines Kindes „mutig“ sein muss, oder?

Öffentliches Stillen war sowohl in Österreich, als auch in Deutschland vor einigen Jahren schon unaufregender Usus. Mittlerweile scheint es, als würde das in Vergessenheit geraten. Hier müssen wir ganz entschieden gegensteuern! Die Freiheit, unsere Kinder zu stillen wie, wann und wo wir wollen, ist eine große Errungenschaft, die es unbedingt zu bewahren gilt.

Meine Tochter erwacht aus ihrem Mittagsschlaf und weil es für mich das Natürlichste auf der Welt ist, mein Kind zu füttern, wenn es hungrig ist, lasse ich diesen Brief nun Brief sein.

Da Sie sich aber womöglich fragen, was ich mit meiner Schreiberei bezwecke, noch ein Appell zum Schluss: Vielleicht regen meine Ausführungen Sie ja zum Umdenken an – oder zumindest zum Nachdenken. Was aber, wenn die Initiative, die stillende Mutter des Geschäfts zu verweisen, gar nicht von Ihnen kam? Was, wenn sich tatsächlich andere Kunden bei Ihnen beschwerten und durch das Stillen belästigt fühlten?

Mein Vorschlag: Verweisen Sie jene Kunden des Geschäfts, deren Verhalten hier wirklich störend und fehl am Platz ist. Seien auch Sie mutig! Ich bin mir sicher, das stünde Ihnen gut zu Gesicht.

Mit der Hoffnung auf mehr Mut und gegenseitige Ermutigung oder zumindest die in letzter Zeit so oft gepredigte Toleranz,

Jeannine

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Dieser Artikel wurde in der Online-Ausgabe der Woman veröffentlicht.

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Jeannine Mik

Jeannine ist Unternehmerin, Buchautorin und als dipl. Kommunikationstrainerin seit über 10 Jahren in der Erwachsenenbildung tätig. 2019 eröffnete sie das Zentrum für bewusste Elternschaft und Persönlichkeitsentfaltung „Conscious Parenting Vienna“. Schreiben ist ihre Leidenschaft. Ihren ersten Blog tippte Jeannine vor mehr als 20 Jahren. Im Mai 2019 erschien ihr erstes Buch „Mama, nicht schreien!“, das innerhalb weniger Wochen zum #1 Spiegel-Bestseller avancierte. Die 33jährige lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Wien.

7 Comments

  1. Liebe Jeannine! Ich bin heute ganz zufällig auf Deinen Blog gestossen und denke mir: wie kann es sein, dass ich -Blogjunkie (!)- erst jetzt zu diesem Blog finde..oder er zu mir…also Du hast hier ein wirklich ästhetisches und reflektiertes Onlinemedium kreiert, das ich nun regelmässig besuchen möchte. Dieser Artikel über das Stillen ist toll und ermutigend. Und er hat Erinnerungen an meine Stillzeit wachgerufen, die ich leider als gescheitert empfinde. Ich war leider zu unsicher/feig/“angepasst“/wasauchimmer und habe in der Öffentlichkeit mit dem Fläschchen gefüttert. Das klappte einige Zeit, doch schon bald begann meine Tochter (*2014) eine Saugverwirrung zu entwickeln und grossen Gefallen an der Leichtigkeit der Nahrungsaufnahme durch das Fläschchen zu finden..tja und das war der Anfang vom Ende einer insgesamt nur 16 Wochen andauernden Stillbeziehung. Wie dumm, denke ich mir im Nachhinein. Hätte ich doch einfach immer und überall gestillt und mir nicht den Kopf zerbrochen, was sich denn andere denken würden. Hätte ich doch mein eigenes und das Wohl meines Kindes an erste Stelle gesetzt und mich einfach getraut, das Natürlichste auf der Welt zu tun. Im Nachhinein betrachtet waren es bei mir zwei Dinge: meine Unsicherheit und der gesellschaftliche Druck, den ich eben verspürt habe. Mütter mit Babys und Kindern inklusive dem Chaos, Wirbel und Geschrei, das sie mit sich bringen, werden, finde ich, an öffentlichen Plätzen oft nur geduldet. Benimmt sich das Kleinkind daneben und schreit das Baby, dann muss man schon fürchten, gemahnt zu werden. In Wien gibt es im Gegensatz zu Kleinstädten zumindest Mama-Baby-Cafes und etwas mehr Möglichkeiten, sich mit dem Baby zurückzuziehen. Auch die Akzeptanz von Mama-Baby-Aktivitäten ist grösser, habe ich den Eindruck..aber ich kann mich auch täuschen ;-) Jedenfalls denke ich mir: beim zweiten mache ich diese Sache ganz anders und kann nur hoffen, dass es dann klappt.
    Alles Liebe und herzliche Grüsse aus einem Städchen in Niederösterreich! ..und sorry für einen so langen Kommentar!

    • Liebe Sel, ach du meine Güte, wie kann es sein, dass dein Kommentar bis jetzt unbeantwortet blieb? Bitte entschuldige! Ich freu mich so darüber, dass du deine Geschichte so ausführlich geteilt hast. Vielen Dank dafür! Es sind Storys wie die deine, die anderen Mamas so unglaublich helfen und sie bestärken können. Tut mir leid, dass deine Stillbeziehung damals so schnell zu Ende ging… der Druck von außen auf uns Mütter ist teilweise riesig und ich kann mir gut vorstellen, dass du dich – auch außerhalb der Hauptstadt, in einer kleineren Stadt – unwohl gefühlt hast. Danke auch für deine lieben Worte zum Blog, sie ehren und freuen mich wirklich sehr! :) Also, sollte ich meine Chance nicht schon vertan und dich tatsächlich als Leserin gewonnen haben, dann freu ich mich jetzt mal wie ein Schnitzerl und leg mich schlafen. Schon wieder so spät geworden, immer dasselbe… ;) Alles Liebe!

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