Du bist nicht kaputt, du bist geprägt. Warum dein Nervensystem mehr Selbstfürsorge als Kontrolle braucht – und wie du beginnst, dich endlich wirklich gut um dich selbst zu kümmern.
Hast du dich schon mal gefragt, warum du plötzlich aus der Haut fährst – obwohl du ruhig bleiben wolltest? Warum du dich manchmal zurückziehst, obwohl du dich eigentlich nach Nähe sehnst? Oder warum du plötzlich in Tränen ausbrichst oder innerlich abschaltest, ohne zu verstehen, was genau dich so getriggert hat? Es gab eine Zeit, in der ich mich selbst kaum wiedererkannte. Über meine intensiven Emotionen, von deren Ursprung ich oft nichts wusste, habe ich auf diesem Blog oft geschrieben.
Ich habe lange nach Antworten gesucht, und so richtig fündig wurde ich erst, als ich meinen Blick geweitet und endlich den ganzen Körper in die Gleichung mit aufgenommen habe. Mein Nervensystem war in einem ständigen Alarmzustand – aus guten Gründen. Was ich damals als persönliches Versagen empfand, war in Wirklichkeit ein natürlicher, notwendiger Schutzmechanismus meines Systems, das seine wichtigste Aufgabe, mich zu beschützen, so gut es konnte wahrnahm.
Was bedeutet „Regulation“?
Regulation ist die Fähigkeit unseres Nervensystems, in Verbindung zu bleiben – mit sich selbst, mit anderen und mit dem Hier und Jetzt – trotz Aktivierung oder Stress. Unser Nervensystem hilft uns dabei, auf unsere Umgebung zu reagieren. Es sorgt dafür, dass wir aktiv werden, zur Ruhe kommen, aufmerksam bleiben oder uns schützen können. Es ist die Fähigkeit, innere Zustände wie Stress, Angst oder Wut zu verarbeiten und danach wieder in einen Zustand von Sicherheit und Stabilität zurückzukehren. Wir können mit Stress umgehen und uns auch wieder entspannen.
Ein reguliertes Nervensystem ermöglicht es uns, präsent zu bleiben, auch wenn es um uns herum laut oder hektisch wird. Es hilft uns, klar zu denken, verbunden zu bleiben und angemessen zu handeln. Ohne diese Regulation, also wenn unser Nervensystem die Fähigkeit, flexibel zu „schwingen“, verliert, verlieren wir das Gleichgewicht – innerlich wie äußerlich. Dann fühlen wir uns überfordert, emotional aufgewühlt oder völlig abgeschnitten. Ohne das entsprechende Bewusstsein merken wir gar nicht, dass unser System in einem automatischen Schutzmodus steckt – und wir eigentlich gar nicht auf das Jetzt reagieren, sondern auf etwas, das unser Nervensystem mit einer früheren Erfahrung verknüpft hat.
Deshalb ist Regulation so zentral: Sie entscheidet darüber, ob wir unser Leben bewusst gestalten können – oder ob wir unbewusst von alten Mustern gesteuert werden.
Wie unser Nervensystem unsere Wahrnehmung beeinflusst
Das Nervensystem entscheidet blitzschnell, ob wir uns sicher fühlen dürfen oder in Gefahr sind. Diese Einschätzung bestimmt, wie wir Situationen erleben und wie wir reagieren. Vollautomatisch.
Ein Beispiel: Stell dir vor, du bekommst eine harmlose Nachricht von deiner Chefin – nur ein kurzer Hinweis auf ein bevorstehendes Gespräch. Und trotzdem merkst du, wie dein Herz rast, sich dein Magen verkrampft und du sofort in Alarmbereitschaft gehst. Es ist nicht die Nachricht selbst, die so bedrohlich ist – sondern die unbewusste Verknüpfung mit früheren Erfahrungen von Kritik, Druck oder Unsicherheit. Dein Nervensystem reagiert nicht auf den Inhalt der Nachricht, sondern auf die Bedeutung, die es ihr aus der Vergangenheit zuweist.
Oder du möchtest in einer Diskussion sachlich bleiben – zum Beispiel bei einem Gespräch mit einer Freundin – und plötzlich merkst du, wie deine Stimme lauter wird oder du gereizt reagierst, obwohl du das gar nicht wolltest. Auch das ist oft ein Hinweis darauf, dass dein Nervensystem unter Druck steht und keine Kapazität mehr hat, gelassen zu bleiben.
Und manchmal kann es noch intensiver sein: Stell dir vor, du gehst nachts allein durch eine fast leere Tiefgarage, hörst plötzlich schnelle Schritte hinter dir und dein Herz rast sofort los. Obwohl sich herausstellt, dass es nur jemand ist, der ebenfalls zum Auto geht, ist dein System längst in höchste Alarmbereitschaft gegangen. Dein Nervensystem reagiert auf das, was es gelernt hat, als potenziell gefährlich einzustufen.
Dabei bezieht unser Nervensystem ständig frühere Erfahrungen mit ein. Unser Gehirn gleicht aktuelle Situationen mit dem ab, was wir in der Vergangenheit erlebt haben. So passiert es, dass eine starke Emotion gar nicht zur tatsächlichen Situation passt, sondern durch ein altes, abgespeichertes Erlebnis aktiviert wird – selbst wenn uns das nicht bewusst ist.
„Ich will es besser machen“ – aber wie?
Vielleicht hast du schon vieles ausprobiert: Meditation, Atemübungen oder eine Gesprächstherapie. Doch meist hilft all das nicht langfristig. Warum? Denn obwohl du bereits einige für den Moment hilfreiche Dinge ausprobiert hast, fehlt deinem Nervensystem etwas Entscheidendes: eine echte, verkörperte Erfahrung von Sicherheit.
Unser Nervensystem versteht keine gesprochene Sprache. Die Bereiche in unserem Gehirn, die für Schutzreaktionen und automatische Muster zuständig sind, reagieren nicht auf kluge Argumente oder beruhigende Worte. Sie sprechen eine andere Sprache: die Sprache des Körpers.
Wir können uns aus starken Gefühlen, Stress und Überwältigung nicht „rausreden“. Wir müssen uns vielmehr „einfühlen“, dem Raum geben, um all das final gehen zu lassen. Sanft, tröpfchenweise.
– Jeannine Mik
Wenn wir also echte Veränderung wollen – wenn wir Muster durchbrechen und automatische Reaktionen auflösen möchten – dann braucht es Signale, die unser Nervensystem direkt erreichen. Das geschieht über körperliche Erfahrung: durch Atem, Bewegung, Berührung, Orientierung, Stimme und vor allem durch Wiederholung. Genau diese kleinen, regelmäßigen Impulse schaffen mit der Zeit neue Verknüpfungen im Gehirn und erlauben unserem System, sich sicher zu fühlen.
Das bedeutet: Es geht nicht darum, mehr zu wissen, sondern darum, mehr zu spüren. Nicht das Denken verändert unsere tiefsten Reaktionen – sondern die Erfahrung von Sicherheit im Hier und Jetzt.
Drei Dinge, die deinem Nervensystem helfen – basierend auf den drei „C’s“ von Deb Dana: Context, Choice und Connection
1. Kontext verstehen – Sicherheit durch Einordnung
Unser Nervensystem braucht Klarheit darüber, wo wir sind, was gerade passiert und ob wir sicher sind. Deshalb hilft es bei Stress und Unwohlsein, Situationen bewusst einzuordnen: „Ich bin in meiner Küche, es ist Montagmorgen, mein Kind weint, aber es ist nichts Schlimmes passiert.“ Diese innere Orientierung gibt dem System Halt. Auch das Wissen um die Abläufe eines Tages oder einer Woche kann sehr entlastend wirken, weil Vorhersehbarkeit Regulation fördert.
2. Wahlfreiheit erleben – selbstbestimmte Handlungsmöglichkeiten
Das Gefühl, handlungsfähig zu sein, beruhigt unser Nervensystem. Wenn wir spüren, dass wir eine Wahl haben – auch, wenn es um vermeintliche Kleinigkeiten geht – gibt ein Gefühl von innerer Kontrolle. Ein Beispiel: Du fühlst dich gestresst, möchtest aber weitermachen. Erlaube dir innerlich den Satz: „Ich darf eine Pause machen – und ich darf auch entscheiden, weiterzumachen.“ Allein das Bewusstsein darüber, dass du wählen kannst, reduziert Stress.
3. Verbindung – soziale und innere Resonanz aufbauen
Menschen sind auf Verbindung hin ausgerichtet. Unser Nervensystem reguliert sich am besten im Kontakt mit anderen. Ein wohlwollender Blick, ein offenes Ohr, ein kurzer Moment echter Begegnung – all das sendet dem System die Botschaft: Du bist nicht allein. Genauso wichtig ist aber auch die Verbindung zu dir selbst. Schon eine einfache Geste wie eine Hand auf dem Herzen oder ein achtsamer Atemzug kann diese Selbstverbindung herstellen. Verbindung ist das Gegengift zu innerer Isolation – und damit eine zentrale Ressource für Regulation.
Du bist nicht falsch – dein Körper schützt dich
Wenn du dich schnell überfordert oder ausgelaugt fühlst, bedeutet das nicht, dass du schwach bist. Es zeigt nur: Dein Nervensystem braucht Unterstützung. Die gute Nachricht: Du kannst lernen, deinem Körper genau diese Unterstützung zu geben. Und das ist gar nicht so schwer.

Wenn du spürst, dass dich diese Gedanken berühren und du endlich verstehen möchtest, wie du dein Nervensystem nachhaltig regulieren kannst – nicht nur in der Theorie, sondern im echten Alltag –, dann lege ich dir mein neues Buch ans Herz: Du bist viel mehr als deine Gefühle. Es ist dein praktischer Begleiter auf dem Weg zu mehr innerer Sicherheit, echter Verbindung und einem liebevolleren Umgang mit dir selbst. Du findest darin fundiertes Wissen, alltagstaugliche Übungen und viele Aha-Momente – damit du beginnst, dich selbst wirklich zu verstehen... und dein Erleben und dein Fühlen nachhaltig, tiefgreifend zu transformieren, Stück für Stück und Schritt für Schritt.
Eine kleine Übung zum Ausprobieren:
Such dir einen ruhigen Ort, an dem du dich ungestört fühlst. Setz dich aufrecht hin, aber ohne Anstrengung. Nimm deine Umgebung wahr – mit all deinen Sinnen. Was siehst du? Was hörst du? Was spürst du körperlich? Lass deinen Blick sanft im Raum umherschweifen. Dann wende deine Aufmerksamkeit auf drei Dinge, die dir gerade ein Gefühl von Sicherheit oder Ruhe geben – das kann ein Gegenstand, ein Geräusch oder ein bestimmter Gedanke sein. Bleib für ein paar Atemzüge bei diesem Gefühl und nimm wahr, ob sich in deinem Inneren etwas verändert.
Diese sogenannte Orientierungsübung hilft deinem Nervensystem, sich im Hier und Jetzt zu verankern und eine Erfahrung von Sicherheit zu machen. Sie ist besonders hilfreich in Momenten von Stress, Unruhe oder Überforderung.
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