unerfüllter kinderwunsch Pärchen auf einem berg
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Unerfüllter Kinderwunsch: wenn die Lebensplanung plötzlich Kopf steht

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Ich habe A. seit Jahren nicht mehr gesehen, seit dem Ende unserer Schulzeit, um genau zu sein. Nachdem meine Tochter ihr aufgeregt das Kinderzimmer gezeigt hat, machen wir es uns in der Küche bequem. Der Café erfüllt den Raum mit seinem herrlich frischen Duft. Wir lachen, reden über früher und erinnern uns plötzlich über urkomische Begebenheiten, die wir beide längst vergessen hatten. Das war eine schöne Zeit, damals. Im Park, beim Schulschwänzen, zum Beispiel.

Da die Kleine uns die meiste Zeit aufmerksam zuhört – und ich inständig hoffe, dass sie manches noch nicht ganz versteht – liegt das Thema Kinder irgendwann auf der Hand. Da wird A. plötzlich ungewöhnlich leise. Den Grund dafür erfahre ich wenig später.

A. kann keine Kinder bekommen. Ich schlucke, weiß nicht, wie ich reagieren soll. Ich sage, dass es mir leid tut. Da wir uns vorhin so innig und ehrlich unterhielten, halte ich es für angemessen, nachzufragen. Sie nimmt es mir nicht übel und erzählt: Einige Jahre weiß sie bereits Bescheid. Sie war gekränkt, ihr Selbstwertgefühl am Boden. Sie schämte sich – ihre Fruchtbarkeit hatte sie zuvor niemals in Frage gestellt. Sie hatte Pläne, ein Bild von sich selbst. Das war plötzlich weg, einfach so.

Ich finde, man muss da drüber reden. Mehr, als es jetzt getan wird. Dafür will ich eine Plattform bieten, informieren, wenn ich kann. Ich bin davon überzeugt: Wenn wir diese Thematik zumindest an den Rand unserer bewussten Wahrnehmung rücken, können wir aktiv helfen, sie zu enttabuisieren und somit den Umgang ein kleines Stück zu erleichtern.


Unerfüllter Kinderwunsch: Mag. Nicola Widmann im Gespräch

Ich habe mit Mag. Nicola Widmann, ihreszeichens dipl. psychologische Beraterin, Supervisorin und Coach, deren erstes Interview zum Thema Fehlgeburt kürzlich auf Mini and Me erschien, auch über dieses Tabuthema gesprochen.

Warum gilt der unerfüllte Kinderwunsch als ein Tabuthema?

Nicola: Der Kinderwunsch und besonders der unerfüllte Kinderwunsch sind sehr private Theme, insbesondere auch weil sie ja mit Sex verbunden sind. Wenn jemand keine Kinder bekommen kann, obwohl es das natürlichste der Welt ist, ist das meist ein enormer Schock und kann eine schwere Krise auslösen. Das Gefühl, versagt zu haben und die Angst vor der Reaktion der Umwelt und dem Rechtfertigungsdruck – das spricht keiner gern aktiv an.

Ich rufe jetzt auch sicher nicht zum großen Massen-Outing auf, aber es ist ein Thema, das viele Paare und auch Einzelne belastet. Es sollte nicht mehr totgeschwiegen werden. Denn je stärker ein Thema tabuisiert wird, umso unnatürlicher gehen wir damit um und umso mehr Belastung bedeutet das für Betroffene.

Kann man helfen? Wenn ja, wie?

Nicola: Wenn Betroffene erfahren, dass sie unfruchtbar sind, ist das ein totaler Kontrollverlust über die eigene Lebensplanung. Besonders quälend ist oft dieses „Warum ausgerechnet ich/wir?“ Dann kommt es natürlich auch zur sogenannten Wahrnehmungsverzerrung: Überall sind plötzlich scheinbar nur noch Schwangere und Babys mit Müttern, Babys mit Vätern, Kinder mit Eltern zu sehen.

In der Gesprächsberatung geht’s zuallererst darum, den Schock zu bewältigen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es für die meisten oft schon eine enorme Erleichterung darstellt, wenn sie einfach nur mal reden können – ganz ohne Bewertungen oder guten Ratschlägen. Einfach nur mal reden.

Betroffene sind so massiv mit ihren übermannenden Gefühlen beschäftigt, Ängste, Enttäuschung, Ärger, Wut, Verzweiflung, Schuld und Scham, dass sie sich oft in die Isolation retten, damit es nicht gar so weh tut. So, wie eine Art Schonhaltung bei Kreuzschmerzen. Das ist eine Zeit lang auch völlig ok, bis man gelernt hat, mit dem Schmerz besser umzugehen. Dann geht es in die Phase der Trauerarbeit und darum, neue Perspektiven für die Zukunft zu finden, die ebenfalls erfüllend sind. Das ist ein sehr individueller Prozess.

Wenn es darum geht, sich von seinem Traum zu verabschieden, ist es wichtig zu bedenken, dass jeder seine eigene Art hat, zu trauern. Das sollte respektiert werden. Schließlich geht es hier darum, Zukunftspläne und Sehnsüchte, die eigenen inneren Bilder von Elternschaft und Kinderhaben, loszulassen. Das ist oft sogar schwerer, weil wir dafür keine Rituale parat haben. Wenn wir einen Menschen verlieren, ist das schlimm genug. Dafür haben wir ganz spezielle Rituale, an denen wir uns festhalten können, die uns Trost spenden und ein Gerüst bieten, was in der akuten Krise zu tun ist. Das fehlt hier und darum fühlen sich viele Betroffene so orientierungslos und ohnmächtig.

Unbedingt zu beachten ist, dass Frauen und Männer diese Krise meist sehr unterschiedlich verarbeiten. Auch wenn das jetzt nach Klischee klingt, Männer neigen dazu, die Phase umso nüchterner und sachlicher anzugehen, je mehr Gefühle ihre Frau zulässt. Ein Klient hat es einmal so formuliert: „Ich muss jetzt stark sein und meiner Frau Halt bieten, damit die Partnerschaft nicht auch noch zerbricht.“ Wenn Männer so also versuchen, die Situation zu stabilisieren, erleben Frauen das eher als Rückzug und reagieren mit Vorwürfen. Das treibt Männer dann noch mehr in die Sachlichkeit. Dieses eigentlich unnötige Missverständnis erschwert die Krisenbewältigung natürlich zusätzlich, weil sich beide unverstanden und allein mit dem Problem fühlen.

Hilft es, den Grund für den unerfüllten Kinderwunsch zu kennen?

Nicola: Zu wissen, woran der unerfüllte Kinderwunsch liegt, gibt ein Stück weit das Gefühl zurück, die Situation wieder unter Kontrolle zu bekommen. Aber es kann auch gefährlich sein, insbesondere wenn nur ein Partner Fruchtbarkeitsstörungen hat. Es kann dann zu gegenseitigen Vorwürfen kommen und Trennungsfantasien oder auch zu Selbstvorwürfen und der Angst, der Partner bleibe nur aus Pflichtbewusstsein in der Beziehung.

Ich habe nicht selten Klienten in meiner Praxis, die ihrem Partner anbieten, er soll sich jemand anderen suchen, der zeugungsfähig ist – aber alles was sie sich wünschen, ist zu hören, dass der Partner um nichts in der Welt einen anderen Menschen an seiner Seite will. Auch wenn das unter Umständen bedeutet, kinderlos zu bleiben.

Was in jedem Fall ein großes Thema ist, ist das subjektive Gefühl als Mann zu „versagen“. Ich erlebe auch immer wieder – insbesondere Frauen – die ihre Kinderlosigkeit als Strafe wahrnehmen, sei es, weil sie vor Jahren eine Abtreibung hatten oder es in ihrer Jugend zu bunt getrieben haben. Die Fantasien sind hier grenzenlos und meist auch haltlos.

Wie sollte man auf ein Outing nicht reagieren?

Nicola: Ganz schlimm sind für Betroffene die üblichen Phrasen:

  • Wollt Ihr überhaupt wirklich Kinder?
  • Habt ihr es schon ernsthaft probiert?
  • Seid froh, ihr wisst nicht was ihr euch erspart, allein das viele Geld.

Das ist zwar wirklich lieb gemeint, weil es den Leistungsdruck und die Enttäuschung mindern soll, bringt aber gar nix, im Gegenteil. Was wir auf keinen Fall tun sollten, ist mit den überschnellen psychologischen Begründungen zu Hilfe kommen:

  • Es liegt an eurer Einstellung. Ihr geht da zu verbissen ran.
  • Habt ihr keine Angst, dass eure Beziehung an der Kinderlosigkeit zerbricht?
  • Das ist sicher, weil du deine Elternbeziehung noch nicht aufgearbeitet hast.

Das schafft nur zusätzliche Schuldgefühle. Auch gutgemeinte Ratschläge sind für Betroffene ein Graus:

  • Denk mal an was anderes. So kann das ja nicht klappen.
  • Macht doch mal Urlaub. Dann klappts sicher.

Ein Horror ist Mitleid ebenso wie Beschwichtigung.

Welche Reaktion wäre besser?

Nicola: Am besten ist ein möglichst offener natürlicher Umgang. Je verkrampfter ich bin, umso verkrampfter ist auch die Situation. Es ist für die anderen ja ebenso schwierig, also werden sie verstehen, wenn ich auch überfordert bin. Das ist ehrlicher als jeder Versuch, die Unsicherheit zu überspielen.

  • „Da weiß ich jetzt gar nicht wie ich reagieren soll. Was ist euch denn am liebsten.“
  • Auch ein bestätigendes „Wow, toll, wie offen ihr das ansprecht.“ kann hilfreich sein.
  • Auch Gespräch bzw. Hilfe anzubieten, wenn sie erwünscht ist. „Wenn ich helfen kann, sag Bescheid.“

Die Betroffenen wissen selbst am besten, was ihnen gut tut. Das gilt übrigens für alle, die gerade durch eine Krise gehen.

Wie kann man damit umgehen, wenn man selbst Kinder hat?

Nicola: Das hängt davon ab, wie nahe der Kontakt ist. Generell gilt aber auch hier: Fragen, was dem Gegenüber angenehmer ist. „Wollen wir uns mit oder ohne Kinder treffen? Worauf habt ihr mehr Lust?“

Beim Enttabuisieren des Themas geht’s generell auch nicht darum, dass die Betroffenen einen Seelenstrip hinlegen sollen. Es geht darum, dass wir mit dem Thema Kinderlosigkeit normaler umgehen können und damit auch den Betroffenen mehr Normalität zu schenken – ohne Schuldgefühle, ohne Mitleid, ohne Versagensgedanken.

Wie kann man als Betroffene bzw. Betroffener auf mitleidige Blicke reagieren, wenn sie nerven oder verletzen?

Nicola: Das ist ganz individuell. Grundsätzlich ist es wichtig, möglichst früh und möglichst gut zu besprechen, wie man im Familien- und Freundeskreis mit dem Thema umgehen will. Das kann ebenfalls von Mann zu Frau und Paar zu Paar verschieden sein. Und es ist alles drin, von aktivem Ansprechen zu gekonntem Übergehen, das hängt von der individuellen Persönlichkeit und der Situation ab.

Eine Klientin, die von ihrem Umfeld schon sehr genervt war, hat den Spieß einfach umgedreht: „Kann ich dir helfen?“ oder „Geht’s dir gut? Du schaust so komisch. Muss ich mir Sorgen machen?“

Das funktioniert natürlich nicht für jeden. Um den besten Weg für sich zu finden, ist eine Gesprächsberatung sinnvoll und sehr hilfreich.


unerfüllter Kinderwunsch im Gespräch mit Nicola widmannMag. Nicola C. Widmann

Neue Perspektiven für Krisenbewältigung und Potenzialentwicklung

Seit 2008 bietet die diplomierte psychologische Beraterin psychologische Beratung, Supervision und Mediation in ihrer freien Praxis in Baden und Wien. Sie ist außerdem Lehrbeauftragte an österreichischen Fachhochschulen und Fortbildungsinstitutionen und coacht mit ihrer Labrador-Mix-Hündin Phoebe auch Kinder und Jugendliche.

Homepage: neueperspektiven.at


Habt ihr Erfahrungen mit diesem Thema? 

Seid ihr selbst betroffen?

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Titelbild CC0 via stocksnap.io
Portrait © Nicola Widmann

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Jeannine Mik

Jeannine ist Unternehmerin, Buchautorin und als dipl. Kommunikationstrainerin seit über 10 Jahren in der Erwachsenenbildung tätig. 2019 eröffnete sie das Zentrum für bewusste Elternschaft und Persönlichkeitsentfaltung „Conscious Parenting Vienna“. Schreiben ist ihre Leidenschaft. Ihren ersten Blog tippte Jeannine vor mehr als 20 Jahren. Im Mai 2019 erschien ihr erstes Buch „Mama, nicht schreien!“, das innerhalb weniger Wochen zum #1 Spiegel-Bestseller avancierte. Die 33jährige lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Wien.

7 Comments

  1. Ein toller Artikel zu diesem Thema! Danke dafür. Habe einige Paare in Bekanntenkreis…
    Gut, dass du das so offen ansprichst und schreibst!
    Ganz liebe Grüße Lisa

  2. Vielen Dank für diesen wundervollen Artikel. Wir hatten selbst einen unerfüllten Kinderwunsch und haben unser Glück letzten Endes durch eine Adoption gefunden. Dies war die beste Entscheidung die wir je getroffen haben?
    Das Thema unerfüllter Kinderwunsch ist wirklich ein Tabuthema was sehr schade ist. Wir sind immer sehr offen damit umgegangen aber es gibt leider viel zu viele die sich nicht trauen darüber zu sprechen

    • Liebe Bine, ich danke dir für dein liebes Kommentar und ich freu mich sehr für euch, dass ihr euren Weg zur Familie gefunden habt – wie schön! :)

      Ja, genau, da müssen wir was dran ändern! Ich hoffe, ich kann in meinem Rahmen zumindest ein ganz klein wenig mithelfen.

  3. Wir hatten auch lange einen unerfüllten Kinderwunsch, was ziemlich an den Nerven gezerrt hat. Durch Zufall geriet ich an eine andere Frauenärztin, die Vertretung für meine vorherige Ärztin machte als diese im Urlaub war. Sie war mir von Anfang an Sympathisch und wir sprachen das Problem Schwangerschaft an. Wir machten darauf hin einen weiteren Termin aus. An diesem Tag checkte Sie mich gründlich durch (so wurde ich all die Jahre noch nie untersucht). Darauf hin meinte Sie, dass Sie vielleicht eine Lösung hatte und gab mir ein Rezept für Clavella mit. Und ja was soll ich sagen nach 6 Monaten war ich Schwanger. Der Grund war ein PCO-Syndrom, welches meine Ärztin zuvor nicht erkannte. Ich spreche immer offen und ehrlich über meine Vorgeschichte und habe auch kein Problem damit, wenn mich wer direkt darauf anspricht. Ich hoffe es haben mehr den Mut, denn reden hilft.

    • Danke für dein ehrliches und offenes Kommentar, Emiliana. So schön, dass es mit der richtigen Diagnose geklappt hat, ich freu mich sehr für euch! :) Natürlich hab ich keinen blassen Schimmer von der ganzen Sache aber vielleicht wäre es interessant, mit einer Frauenärztin über diese Symptomatik zu sprechen, wenn sie so schwer zu entdecken ist! Hm, ich hab dir mal eine Mail geschrieben! :)

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