Dieser Artikel wurde am 17.02.2017 erstmalig veröffentlicht.
Warum haben starre Methoden keinen Platz im Leben mit Kind? Wie schaffen wir es, unseren Kindern auch in stressigen Situationen liebevoll zugewandt zu bleiben? Welche Prozesse laufen im Gehirn ab, wenn wir mit Frustrationen umgehen lernen? Und was tue ich, wenn mein Kind nach einem „Nein“ lauthals seinen Unmut kundtut, wütend und traurig ist?
Trotzphase: Mag. Sandra Teml-Jetter im Gespräch
Das und mehr wollte ich von Mag. Sandra Teml-Jetter wissen. Sie ist selbst Mama, Coach, Familienberaterin und Frau hinter der Wertschätzungszone. Und sie ist eine wahre Bereicherung. Ihren Worten könnte ich stundenlang fasziniert lauschen.
Wer fertig vorgedachte Strukturen erwartet, die blind und ohne Reflexion angewendet werden sollen, ist bei Sandra an der falschen Adresse. Will man jedoch die Beziehung zu seinen Mitmenschen aktiv gestalten, individuell und liebevoll, und dabei auch sich selbst besser kennenlernen, ist Sandra ein wahres Juwel.
Nehmt euch hiervon mit, was sich für euch stimmig anfühlt. Ich freue mich auf eure Meinung zum Interview und eure Erfahrungen!
Sandra, du begleitest Familien bewusst fernab von irgendwelchen vorgefertigten Methoden. Erzählst du uns, warum dir das so wichtig ist?
Weil es den praktischen Leitfaden, wie wir Beziehungen zu unseren Mitmenschen gestalten müssen, nicht gibt. Es ist schwierig, ein „How-To“ zu schreiben. Ich sage: Begegne den Menschen, mit denen du lebst! Dann bleibt dir auch nichts anderes übrig, als dich selbst besser kennenzulernen.
Ein Kind zu bekommen ist wie ein Blind Date. Das Blöde ist, wenn dir dein Kind nicht gefällt, wie es ist, kannst du nicht einfach aufstehen und gehen. Aber das kann passieren. Es ist nicht immer alles super, das ist normal. Es geht darum, zu verstehen, dass man sich einen Menschen mit einer „fertigen Seele“ ins Leben holt. Und es geht darum, mit ihm eine Beziehung zu gestalten, ihn kennenzulernen und als Reiseführerin mit mehr Erfahrung durchs Leben zu begleiten.
„Es geht darum, zu verstehen, dass man sich einen Menschen mit einer „fertigen Seele“ ins Leben holt. Und es geht darum, mit ihm eine Beziehung zu gestalten, ihn kennenzulernen und als Reiseführerin mit mehr Erfahrung durchs Leben zu begleiten.“ – Mag. Sandra Teml-Jetter
Wir haben im Laufe unseres Lebens einige Erfahrungen gemacht, aber auch die müssen wir unseren Kindern nicht aufdrücken. Sie müssen sie selbst machen dürfen und es ist an uns, das auszuhalten. Wenn wir sehen, wie unsere Kinder hinfallen – egal ob buchstäblich oder metaphorisch – ist das furchtbar für uns Eltern. Wir haben hier die Aufgabe, einfach da zu sein.
Es gibt eigentlich nichts zu sagen – und andererseits sehr viel.
Welche Fragen stellen Eltern in deinen Seminaren und Workshops zum Thema „Trotz und Wut“ am häufigsten?
Eltern kommen zu einem Workshop oder einem Coaching, wenn sie ihr Handlungsrepertoire und ihr Ideenpool schon ausgeschöpft haben. Die Frage an mich lautet dann: „Was kann ich tun, wenn…“
Und da muss ich erst einmal innehalten. Denn ich biete Eltern eben keine vorgefertigten Lösungen an, kein 5-Stufen-Programm. Das wäre, als ob ich Ihnen ein Fertiggericht auftischen würde: Da werden sie dann zwar satt, können aber noch lange nicht selbst kochen.
„Du muss dieses, du sollst jenes…“ Gute Tipps gibt es tausende. Ich finde es spannend zu ergründen, warum wir uns nicht daran halten. Wie und warum Menschen ihre Beziehungen auf eine bestimmte Weise gestalten – diese Abläufe interessieren mich. Wenn man versucht, sich an eine bestimmte „Methode“ zu halten, dann stellt man einen Prozess künstlich her. Es haben sicher alle ihre Berechtigung, aber am Ende des Tages geht es immer darum, dem Menschen im Hier neu zu begegnen. Egal ob das der Partner ist, das Kind oder man selbst.
Ich muss deshalb zuallererst mit den Eltern ihre eigene Haltung hinterfragen: Wie willst du denn als Mama bzw. Papa sein? In welches Erziehungsparadigma ordnest du dich selbst ein? Es geht nämlich nicht, wenn es stressig wird im Gehorsam zu leben, und wenn wir alle entspannt sind, dann wechseln wir wieder zum „Beziehung statt Erziehung“ Modus und ändern somit auch unsere Werte. Das ist eine Entscheidung, die es zu treffen gilt.
Entscheiden wir uns dafür, unser Kind als gleichberechtigten, vollwertigen Menschen wahrzunehmen, benötigen wir keine vorgefertigten Methoden, nach denen wir handeln können. Unsere Handlungen ergeben sich aus unserer Haltung. „Ja, aber wie?“ fragen mich dann Eltern. Und ich sage: Finde es selbst heraus! Mache Fehler und sieh, was funktioniert.
Ich sage nur, dass es wichtig ist, innezuhalten, zu sich selbst auch mal „Stop“ zu sagen und zu reflektieren.
Was rätst du Eltern, die Beziehung statt Erziehung leben möchten, aber das Lieblingswort ihres Kindes ist „Nein“?
Da braucht es jetzt einmal ein bisschen Entwicklungspsychologie. Während der Schwangerschaft und auch nach der Geburt, in der Bindungsphase, leben wir mit unserem Kind in einer sehr sinnvollen Symbiose. Das heißt, das Kind „denkt“: Ich bin Du. Es gibt von Seiten des Kindes ganz viele Bedürfnisäußerungen, die unmittelbar gestillt werden müssen. Damit kommen die meisten Eltern auch recht gut klar.
Im zweiten Lebensjahr beginnt dann allerdings ein Übergangsabschnitt, eben die sogenannte Trotzphase, in dem sich erstmals der kindliche Selbstbehauptungswille zeigt: „Ich kann das selber!“
Ich veranschauliche das gerne mit einer Zeichnung von zwei überlappenden Kreisen die sich langsam zu zwei eigenen Kreisen entwickeln. Es soll sichtbar und spürbar werden, was wir tun, wenn wir da hinein steigen, in die Kreise von anderen Menschen. Wenn wir uns als Missionare in einem fremden Land aufführen, wenn wir das bei unseren Kindern und Partnern tun, stoßen wir nur auf Abwehr. Niemand will geholfen werden, wenn er nicht um Hilfe bittet.
Durch die Kreise wird deutlich, dass das kindliche Nein eigentlich zu übersetzen ist mit: „Ich bin nicht du! Ich weiß zwar noch nicht so genau, wer ich bin – aber ich bin nicht die, die jetzt z.B. die Haube aufsetzt.“ So machen auch die Begriffe „Autonomiephase“ oder „Selbständigkeitsphase“ einen Sinn, obwohl „trotzen“ ja auch nichts anderes heißt als „Widerstand entgegensetzten“. Also sich dagegen wehren, dass mir etwas buchstäblich übergestülpt wird, ohne mich überhaupt in die Überlegung miteinzubeziehen.
Und jetzt haben wir plötzlich einen Konflikt: Ich will etwas, was du nicht willst. Da gibt es eine Entscheidung zu treffen. Nämlich ob ich über mein Kind „drüberfahre“ und über es bestimme oder ob ich bereit bin, eine gleichwürdige Subjekt-Subjekt Beziehung zu leben. Diese Art zu leben braucht aber Zeit, die wir oft nicht haben. Oder wir nehmen sie uns nicht.
Es geht hier nicht um endloses Diskutieren und Erklären, sondern um die Haltung: Ich ziehe deine Überlegung mit in Betracht (Ich nehme dich wahr!) – und ich als Erwachsener entscheide. Das ist elterliche Führung. Und wir als Eltern sind zu 100% für die Qualität dieser Beziehung, für das „Wie“ verantwortlich.
„Ich ziehe deine Überlegung mit in Betracht (Ich nehme dich wahr!) – und ich als Erwachsener entscheide. Das ist elterliche Führung. Und wir als Eltern sind zu 100% für die Qualität dieser Beziehung, für das „Wie“ verantwortlich.“ – Mag. Sandra Teml-Jetter
Was, wenn ich mich mit Kind in einer stressigen Situation wieder finde?
Hier hilft es zu wissen, wie unser Gehirn bei Stress funktioniert: In stressigen Situationen fallen wir vom vernünftigen, lösungsorientierten, handlungsflexiblen Frontalhirn sehr schnell in die unteren Regionen unseres Gehirns. Dort treffen wir auf die Erziehungsmuster unserer eigenen Kindheit, die wir dann ganz automatisch – weil gut und lange trainiert – anwenden. Der einzige Weg, nicht automatisch runterzufallen, ist die Selbstbeobachtung – um danach für Sicherheit zu sorgen. Zuerst mal für die Eigene.
Hast du dazu ein konkretes Beispiel?
Oh, ja! In meiner Ursprungsfamilie wurden Gefühle sehr gerne unter den Teppich gekehrt: „Das sagt man nicht! Das denkt man nur!“ Als meine Tochter ihren ersten „Trotzanfall“ hatte, war mein erster Impuls: „Nichts wie weg hier!“, weil sie mit meinen altbekannten Mitteln wie: „Ich gehe, wenn du dich nicht sofort beruhigst!“ (also automatischer, unterer Weg) nicht zu beruhigen war.
So wollte ich aber nicht sein! Ich wollte einen neuen Weg finden. Ich wollte ihr liebevoll zugewandt sein. Und diesen Entschluss fasste ich – whatever it may take! Beim nächsten Mal ging ich also nicht automatisch von ihr weg, sondern auf sie zu. Ein großer Fehler! Denn unser Gehirn denkt nun einmal automatisch nur in Gegenteilen (wiederum: automatischer, unterer Weg) und nicht in Alternativen. Und ich bekam herrliche, alternative Regieanweisungen von ihr: „Geh weg!“
Und jetzt, ha! Jetzt wurde ich auf einmal trotzig! Und konnte mich denken hören: „Ja, genau! Da will ich dir zugewandt sein, und du willst das nicht! Wirst schon sehen, was du davon hast!“ Abermals der automatische, untere Weg, den ich aber nicht einschlagen wollte. Ich hörte mir also selbst erst einmal zu, dann meiner Tochter. Und ich tat das, was zu tun war: Ich ging einen Schritt zurück und behielt meine zugewandte Haltung bei. Diese Haltung bewährt sich übrigens in der Pubertät, die ja nichts anderes ist als eine weitere Selbständigkeitsphase, auch sehr!
Auslöser des Dramas war, dass ich meiner Tochter einen Wunsch (kein Bedürfnis!) abgeschlagen hatte. Sie wollte etwas haben, hat es aber nicht bekommen. Das frustrierte sie natürlich. Und das ist der nächste Schritt, den ich im Workshop erkläre: Wie lernen wir Frustrationstoleranz? Oder: Der gesunde Konflikt.
Warum der „gesunde Konflikt“? Gibt es auch einen „kranken“ Konflikt?
Weil wir diesem Prozess nicht entkommen können! Das Leben ist kein Wunschkonzert. Wir alle erleben Frustrationen und es ist sehr hilfreich, wenn wir dann frustrationstolerant sind.
Mir hat der Ablauf, der auf der Grafik dargestellt ist, sehr geholfen. Ich wusste, mein Kind muss seinen Frust bewältigen und sah, wie viel Zeit ich in diesem Prozess eigentlich hatte, da zu sein und mich selbst zu beobachten. Mehr müssen wir nämlich nicht tun. Können wir auch nicht.
Spannend ist es auch, zu hinterfragen, wozu du als Elternteil „Nein“ sagst, was du ablehnst: Sagst du in einer Situation Nein, weil du es so gelernt hast?
So wie es in meiner Familie (und bei allen anderen Nachbarn auch) nicht erlaubt war, während der Woche bei einer Freundin zu übernachten. Als mich mein Erstgeborener – ich glaube er war elf Jahre alt – eines mittwochs fragte, ob sein Freund bei uns übernachten könne, entfleuchte mir das „Nein!“, noch bevor er das Fragezeichen ausgesprochen hatte! Erst danach begann ich nachzudenken, warum ich eigentlich „Nein“ gesagt hatte, und fand es total absurd! Für uns Eltern war es überhaupt kein Problem, während der Woche Übernachtungsgäste zu haben. Und das passte für unsere Familie. Und da siehst du schon, das passt vielleicht für andere nicht!
Ich lade einfach ein, die eigene Motivation für eine Entscheidung zu überprüfen und dann situationsangemessen zu entscheiden. So wie es für DEINE Familie gerade an diesem Tag passt.
Ein ungesunder Konflikt ist jener, bei dem wir uns ständig im Kreis drehen, der sich nicht löst. Dann brauchen wir etwas anderes: ein Innehalten, ein Schauen, was los ist und/oder ein Familiengespräch.
Wie verhalte ich mich als Elternteil, wenn mein Kind einen „gesunden Konflikt“ erlebt?
Du musst auch hier nichts tun, außer dich zu beobachten und emphatisch zugewandt sein. Vor allem deinen Körper kannst du beobachten: Wann bekommst du Schweißausbrüche oder die berühmten „Kabeln“? Wenn dein Kind um seinen Willen kämpft? Wann schwenkst du zum „Ja“ hinüber? Wenn es dir peinlich ist, dass dein Kind sich in aller Öffentlichkeit so „benimmt“? Warum hältst du Trauer so schwer aus und beginnst dein Kind zu trösten, obwohl nicht du die Verursacherin des Übels bist?
Und da kommt wieder das Gehirn ins Spiel. Ich rate Eltern, zuerst einmal für eine Situation zu sorgen, in denen sich die Eltern sicher fühlen – sodass sie ihr Frontalhirn überhaupt nutzen können.
Was meinst du damit? Wie kann ich mich bzw. uns in „Sicherheit“ bringen?
Ich zum Beispiel konnte mich selbst nicht beruhigen, als meine Tochter sich vor dem Kindergarten am Boden wälzte und schrie. Und auch noch alle anderen Eltern zusahen. Ich habe sie dann auch erstmal geschnappt und nach Hause getragen, weil ich an meiner Grenze angelangt war.
Ich wusste, dass ich ihr vor den Augen aller anderen nicht ruhig und gelassen zugewandt bleiben konnte. Das konnte ich erst bei uns zu Hause, wo mein Gehirn erst wieder gut integriert funktionierte.
Aber es ist nicht immer möglich, einfach aus der Situation zu gehen…
Das stimmt! Deswegen ist es so wichtig, sich selbst und die eigenen Grenzen und Kapazitäten zu kennen und zu wissen, wie man sich selbst beruhigen kann.
Wenn du denkst, dass dich gerade eintausend Augenpaare bewertend anschauen, und es dir wichtig ist, dass die anderen Kindergarteneltern dich als perfekte Mama sehen, trägt das sicher nicht zur Entstressung bei. In solchen Situationen musst du als Mama immer auch für die Sicherheit deines Kindes sorgen. Wie das körperlich mit einem sich windenden Kind geht, habe ich beim Original Play gelernt. Ich würde diesen Zweitagesworkshop über absichtsloses körperliches Spiel zu jedem Geburtsvorbereitungskurs dazu empfehlen!
Zusammenfassung:
Sandra, ich versuche, deinen Input zusammenzufassen:
In der Trotzphase löst sich die anfängliche „Symbiose“ von Mama und Kind allmählich. Es stellt fest: Ich bin nicht du! Hier entsteht reichlich Konfliktpotenzial. Diesen Prozess hast du im Interview weiter oben mit den beiden Kreisen dargestellt.
Für uns Eltern gilt es, die eigenen Automatismen kennenzulernen, durch Selbstbeobachtung und Reflexion: Wann reagiere ich wie und warum? Hierzu hattest du das Beispiel mit der Funktion des Gehirns und dem unteren, automatischen Weg den es gehen möchte.
Wir überlegen kritisch: Welche „anerzogenen“ Werte und Einstellungen aus der eigenen Kindheit übernehmen wir, weil sie zu uns passen und was ist für uns als Familie nicht stimmig? Es gilt also, das elterliche „Nein“ regelmäßig zu hinterfragen. Der Richtungswechsel im Umgang mit Übernachtungsgästen deines Sohnes war hier dein konkretes Beispiel.
Dem Kind zugewandt und liebevoll in einer Subjekt-Subjekt Beziehung zu begegnen bedeutet nicht, zu allem „Ja“ zu sagen. Wir müssen unser Kind wissen lassen: „Ich sehe dich, ich verstehe dich.“ – auch wenn wir seinen Wunsch nicht erfüllen. Dass das Ärger und Wut hervorruft, ist klar, doch gesunde Konflikte sind wichtig, weil sie Kinder Frustrationstoleranz lehren.
Für uns Eltern wiederum ist es wichtig, unsere eigenen Grenzen zu kennen, zu wissen, wie wir uns selbst beruhigen können und unsere Handlungsoptionen auszuloten.
Hast du hierzu noch konkrete Hilfestellungen für uns Eltern?
Hilfreiche Haltungs- und Handlungsoptionen:
„Wenn Kinder aggressiv sind dann ist das eine Einladung: „Hallo, mir geht es nicht gut! Könnte bitte jemand in meiner Realität vorbeikommen und mir helfen herauszufinden, was ich machen soll!“ – Jesper Juul
Empathisch, liebevoll zugewandt bleiben – bei (vermeintlicher) Gefahr
Kinder brauchen dafür uns Eltern als Vorbild und liebevoll zugewandte Begleiter. Wir haben dabei die Aufgabe, mit unseren Kindern für das, was in ihnen vorgeht, Worte zu finden. Dafür müssen wir ganz nahe hingehen und nachfragen – anstatt uns vor dem, was gerade vor uns passiert, zu fürchten. Wir müssen lernen, „Aggressionsflüsterer“ zu werden, so hat es einmal der Neurobiologe Joachim Bauer ausgedrückt. Das heißt konkret, dass wir als Eltern immer hinter das Verhalten schauen müssen.
„Wir haben die Aufgabe, mit unseren Kindern für das, was in ihnen vorgeht, Worte zu finden. Dafür müssen wir ganz nahe hingehen und nachfragen – anstatt uns vor dem, was gerade vor uns passiert, zu fürchten. “ – Mag. Sandra Teml-Jetter
Dazu gibt es ein wunderbares Buch von Barbara M. Joosse: „Mama, do you love me?“ Da fragt ein Inuit Mädchen seine Mama, wie sehr sie sie liebt, und ob sie sie auch noch lieben würde wenn sie dies oder jenes tun würde. Sie testet also die Liebesgrenzen ihrer Mama. Die Mutter antwortet, dass sie verärgert, erstaunt, erschreckt oder traurig wäre, wenn ihre Tochter dies oder jenes täte, sie aber immer noch lieben würde. Am Ende fragt die Tochter, ob ihre Mama sie auch lieben würde, wenn sie sich in einen schrecklichen Eisbären verwandeln würde, mit scharfen Zähnen und riesigem Maul, der sie jagen und verfolgen würde, und sie würde weinen und schreien? Darauf antwortet die Mutter: „Ich würde mich sehr fürchten. Aber im Bären drinnen, wärst immer noch du, und dich würde ich immer noch lieben!“ Das ist sehr berührend!
(Hier könnt ihr auf YouTube durchs Buch blättern!)
S.A.L.V.E. aus: Naomi Aldort: „Von der Erziehung zur Einfühlung“
Ich bin kein Fan von „Methoden“, weil jeder Mensch, jede Beziehung und jede Situation unterschiedlich sind. Ein Schema, das immer passt, gibt es nicht. Es kann Eltern jedoch helfen, für sich selbst einen Leitfaden zu haben, an dem sie sich orientieren können. Entnommen aus Naomi Adolts Buch:
S – Stopp! Raus aus der automatischen Reaktion auf ein Verhalten Ihres Kindes! Stattdessen distanzieren Sie sich in einem stummen Selbstgespräch vom Verhalten und den Emotionen Ihres Kindes. Das ist der schwierigste Schritt. Achten Sie darauf, wie Ihr Inneres Ihnen Worte in den Mund legt, wenn etwas, was das Kind getan hat, Sie zu einer Reaktion bewegt:
„Es ist wie ein Computer, der selbst Programme startet: Ihr Kind tut etwas, und ein Fenster öffnet sich automatisch in Ihrem Inneren. Dies wäre harmlos, wenn Sie das, was darin steht, nicht laut vorlesen würden!“
Es ist nicht das, was Sie wirklich sagen wollen. Es entspricht nicht Ihrer wirklichen Absicht und ist daher unauthentisch. Der Beweis dieser Unauthentizität ist, dass Sie Ihre Worte und Handlungen später bereuen.
„Es ist nicht das, was Sie wirklich sagen wollen. Es entspricht nicht Ihrer wirklichen Absicht und ist daher unauthentisch. Der Beweis dieser Unauthentizität ist, dass Sie Ihre Worte und Handlungen später bereuen.“ – Naomi Adolt
Lesen Sie die Worte in Ihrem „Fenster“ stumm durch, und lassen Sie Ihrer ganzen Äußerung und den Maßnahmen, die Sie ergriffen hätten, oder Erinnerungen aus Ihrer Vergangenheit in Ihrem Inneren freien Lauf. Das dauert weniger als eine Minute und schadet niemandem. Was Sie empfinden, ist für Sie allein bestimmt und kein Grund für Handlungen oder Äußerungen. Es ist eine alte Aufzeichnung, nicht der Mensch, der Sie in der Gegenwart sind.
A – Richten Sie ihre Aufmerksamkeit auf Ihr Kind.
L – Lauschen sie dem, was Ihr Kind Ihnen zu sagen hat oder worauf sein Verhalten hindeutet.
V – Äußern Sie Verständnis und Wertschätzung für die Gefühle Ihres Kindes und die Bedürfnisse, die es ausdrückt.
E – Ermutigen und bestärken Sie Ihr Kind, seinen eigenen Kummer zu bewältigen, indem Sie ihm freie Bahn lassen und ihm vertrauen. Zeigen Sie Zuversicht, dass es sich zu helfen wissen wird, indem Sie ruhig bleiben und sich Ihrer eigenen Sehnsucht nach einer schnellen Wiederherstellung der Ordnung bewusst werden. Dann können Kinder selbst Bitten, Lösungen, Ideen und Vorschläge bringen.
Vielen dank für dieses unglaublich umfassende Interview und deine hilfreichen Zeilen, Sandra. Uns haben sie bereits geholfen, Konflikte in ihrem Verlauf abzuschwächen:
Was ich als erstes übernahm war, meine Tochter nicht nur für mich in ihren Bedürfnissen wahrzunehmen, sondern auch ihr gegenüber zum Ausdruck zu bringen: „Liebling, ich weiß, du möchtest… das verstehe ich. Und…“ Allein die Gewissheit, dass Mama verstanden hat, was sie möchte, macht es für meine Tochter einfacher, den Frust und die Wut zu verarbeiten. DANKE!
Ich hoffe, meine lieben Mamas, auch ihr könnt etwas für euch mitnehmen! Und freu mich auf eure Meinung zu diesem Expertinnengespräch!
Mag. Sandra Teml-Jetter
Wertschätzungszone
Sandra ist Mutter von drei Kindern, Einzel- und Paarcoach sowie psych. Eltern- und Familienberaterin in ihrer Praxis der Wertschätzungszone.
Homepage: wertschaetzungszone.at
Für ein vertiefendes, persönliches Coaching zum Thema nach Vereinbarung in Sandras Praxis, schreib ihr jederzeit eine Mail! Workshops der Wertschätzungszone zum Thema Trotz & Aggression findest du auf der Homepage.
Sandras Empfehlungen zu weiterführender Literatur und Links:
- Mirelle d’Allance: Robbi regt sich auf
- Daniel Siegel und Mary Hartzell: Gemeinsam leben, gemeinsam wachsen
- Naomi Aldort: Von der Erziehung zur Einfühlung
- Jesper Juul: Grenzen, Nähe und Respekt – und alle anderen Bücher
- Herbert Renz-Polster: Menschenkinder
- Aida S. de Rodriguez bei www.elternmorphose.de.
Titelbild & Fotos © Fotolia
Grafiken & Portrait © Sandra Teml-Jetter, Wertschätzungszone
Bewusster leben per Mail
Gerne hier? Dann schließe dich rund 10.000 anderen AbonnentInnen an! Im kostenlosen Newsletter erhältst du Impulse zur bewussten Elternschaft und Lebensgestaltung, sowie diverse Empfehlungen und Infos zu Neuigkeiten direkt in deinen Posteingang. Ich freu mich auf dich!
Genauere Informationen entnimm bitte der Datenschutzerklärung.
Anmeldung erfolgreich! Bitte schau in deinen Posteingang, um die Anmeldung zu Bestätigen!
14 Antworten
Liebe Jeannine, ein wunderbarer Artikel und ein sehr interessantes Interview! Mein Sohn ist bald 16 Monate alt und ich bemerke wie er in den letzten Wochen seine eigenen Bedürfnisse und Wünsche bewusst wahrnimmt und nach außen vermittelt (indem er zum Beispiel richtig zornig brüllt, aber auch durch positive Interaktionen wie zum Beispiel herkommen und kuscheln, was er bis jetzt nie wollte). Ich werde versuchen eure Informationen im Hinterkopf zu behalten und es immer wieder umzusetzen. Ich glaube es ist eine große Herausforderung das zu lernen, aber es ist mir ein großes Bedürfnis. Dein Hinweis am Ende, was ihr als erstes gut umsetzen konntet, finde ich sehr hilfreich.
Ich werde mir diesen Blogeintrag speichern, um ihn immer wieder zu lesen und dieses aufmerksame aufeinander zu gehen hoffentlich bald in unseren Alltag integrieren zu können! Danke!
Liebe Carina, danke dir für dein Kommentar und die lieben Worte! Oh ja, es steckt doch sehr viel drinnen in diesem Artikel… da war es mir ein Anliegen, einige Punkte nochmals gesondert zusammenzufassen oder eben den ersten Schritt, der für mich (in den meisten Fällen) umsetzbar war, hervorzuheben. Ich hoffe, dir und deinem Sohn geht es gut! Alles Liebe!
Hallo liebe Jeannine,
dein Artikel ist Gold wert. Wir haben unsere Tochter auch als kleine Persönlichkeit behandelt und eine vertrauensvolle Beziehung zu ihr aufgebaut. Alles lief super, bis… Ja bis sie in den Kindergarten kam. Dort ging es darum, wer schon sauber ist, wer sich am schnellsten anziehen kann und wer sich am besten anpassen kann.
Viele andere Kinder haben diesen Spagat überwinden können oder vielleicht gab es dort gar keine so großen Unterschiede zum Elternhaus.
Unserer Tochter hat es seelisch das Genick gebrochen. Sie entwickelte eine Angststörung, und selektiven Mutismus, der sich seit drei Jahren nur langsam löst.
Warum ich dir diese Zeilen schreibe, weil ich darauf aufmerksam machen möchte, dass vor allem ein Augenmerk auf die Krippen und Kitas gelegt werden muss. Da fehlt die vertrauensvolle Bindung sehr oft, und ja ich weiß um den Personalmangel und die Überlastung der Erzieher/innen.
Trotzdem wird unterschätzt, wie diese Erstprägung außerhalb des Elternhauses in der Entwicklung des Kindes wirkt.
Liebe Grüße aus dem Leipziger Land.
Liebe Astrid, danke dir so sehr für deine Zeilen und diese Einblicke in dein bzw. euer Leben. Es tut mir sehr leid zu lesen, dass die Kita so ein Schock für die Kleine war. Ich hoffe sehr, dass sie sich bald erholen kann. Die Wahl der Kita, das Alter des Kindes, die Zeit zur Eingewöhnung, das Gefühl, das das Kind mit der Kita verbindet… das alles ist so so wichtig! Eltern sind oftmals schon mit 1, 2 oder 3 Kindern überfordert… wie soll es dann eine Erzieherin mit 15 Kindern oder mehr nicht sein? :-/ Sehr schwierig, hier einen Ort zu finden, an dem das Kind sich wirklich wohl und halbwegs gut gebunden fühlt. Ich wünsche euch alles Liebe und nochmals, danke!
Danke für den spannenden Beitrag! Er beinhaltet so vieles, was mir mein Bauchgefühl sagt, ich aber nicht passend ausformulieren konnte. Er hat mir einiges bewusst gemacht, das mir intuitiv richtig erscheint! Vielen Dank dafür! Liebe Grüße, Patrizia
Wie schön das zu lesen, danke dir! :)
Vielen Dank für diesen Beitrag! Eigentlich liegt es so auf der Hand, würde man nicht immer wieder automatisch in die alten Muster fallen. Den Moment des Innehaltens zu verlängern und eben diese erste eigene Trotzreaktion zu unterdrücken sind der Schlüssel zur Entschärfung der Situation, denke ich. Schöne Beispiele und ein wirklich hilfreiches Interview.
P.S.: Ich hoffe das gilt gleichermaßen auch für Papas und nicht nur Mamas ;)
Danke dir lieber Bastian, für dein Kommentar! Genau, es ist immer dieses Gefühl: „Aber ich muss doch was machen.“ – Nein, musst du nicht! Da sein ist genug. :) Und ja natürlich, bei Papas ist das nicht anders. ;)
Hallo,
ein wundervoller Artikel, der mir aus der Seele spricht. Ich werde ihn mir ebenfalls merken, um ihn durch wiederholtes Lesen in meinem Unterbewusstsein zu festigen.
Für ein Problem, mit dem ich zu kämpfen habe, kann ich hieraus allerdings nur schwierig Nutzen ziehen: meine 27 Monate alte Tochter schreit bei einem Zornausbruch liebend gern „Aua“ und rennt dann zu mir (meistens), zu den Haustieren (selten) oder sonstigen Personen (sehr selten) un schlägt nach ihnen. Ich sehe klar den Zusammenhang zu mir, da ich vor 4,5 Monaten unsere zweite Tochter geboren und mit nach Hause gebracht habe. .. Die Große schlägt nach mir und wenn sie sie erwischen kann, auch nach ihrer kleinen Schwester.
Mir fällt es dabei nur extrem schwer eine zugewandte Haltung zu bewahren, da ich sie mit Reden und Erklärungen oder auch mal einem „Stop!“ nicht erreiche. Ich habe mich mal 1,5h (!!) im Garten von ihr „verhauen“ lassen (Oma betüddelte derweil das Baby) – eine Besserung brachte es auch nicht.
Sie ist ein sehr willensstarkes Persönchen, das ich auch toll finde und immer unterstützt habe. Allerdings komme ich hierbei auf keine praktikable Lösung für uns…
Ich bin ein Befürworter von Attachment Parenting und habe immer versucht mein bestes zu geben. Habe viel gelesen über Erziehung und doch das meiste aus dem Bauch und dem verliebten Mutterherz heraus gemacht. Handgreiflichkeiten oder Geschrei gibt es bei mir nicht. Wohl aber eine Führung für sie, bei der ein „Nein“ ein „Nein“ bleibt, vor allem, weil ich dieses Wort gezielt wenig einsetze. Körperliche Nähe in Richtung schmusen war noch nie ihr Fall. Allerdings habe ich sie in ihren ersten Monaten ausschließlich getragen. Ablegen konnte ich sie nicht.
Hat jemand noch eine Idee?
Viele Grüße,
Sarah
Hallo!
Danke für diesen tollen Artikel.
Ich konnte mir so viel rausnehmen und habe während des Lesens immer wieder Inne gehalten und an Situationen gedacht, in denen ich für mich nicht so gehandelt habe, wie ich es eigentlich gern möchte und dann eine neue, für mich passende Lösung zu finden versucht.
Mein Großer ist jetzt drei und momentan krachen wir echt oft aneinander, weil er jetzt seine Wünsche und Bedürfnisse gleich durchsetzen will. Seine Bedürfnisse versuche ich, wenn möglich, gleich zu erfüllen. Ich entdecke durch seine Entwicklung wie oft ich an meine Grenzen komme, ich mich neu orientieren muss und ich entschuldige mich auch, wenn ich falsch gehandelt habe (z. B grundlos anschreien) einfach weil ich mit der Situation überfordert war.
Deine Artikel bringen mich immer wieder zum Nachdenken und Reflektieren in meiner Beziehung zu meiner Familie! Danke!
Hallo,
ich habe mit außerordentlicher Spannung diesen Artikel gelesen. Unser Kind befindet sich nämlich derzeit auch in der Trotzphase, sodass dieser Artikel genau richtig war für uns. Man muss meiner Meinung nach einfach ein bisschen Geduld mitbringen. Das ist wichtig. Außerdem finde ich auch klare Grenzen wichtig, die dem Kind zeigen: So und nicht weiter.
Vielen Dank für deine Erfahrungen und liebe Grüße