Wir stellen so hohe Ansprüche an uns selbst. Wir wollen aufmerksam sein, kreativ und echt für unsere Kinder. Das gelingt nicht immer und das ist vollkommen normal. Ein Erlebnis von vor einem Jahr veranlasste mich damals dazu, darüber nachzudenken, wie ich in Beziehung mit meiner Tochter bleiben kann, wenn meine Gedanken abschweifen möchten.
Fliegende Windeln vorm Schlafengehen
Es ist spät, wir sind beide müde. Beim Gedanken daran, dass sie bald schlafen wird, seufze ich erschöpft. Und ich freu mich auf ein klein wenig Zeit für mich. Ich habe einen starken Wunsch, fast schon ein Bedürfnis, nach ein wenig Allein-Zeit.
Das geliebte Kleinkind vor mir hatte einen aufregenden Tag, an dem es so enorm viel gelernt und gesehen hat. Es ist müde und hat schon selbst gesagt, dass es ins Bett und mit mir kuscheln möchte. Wir wollen uns noch bettfertig machen, also umziehen, Windel an, frisch machen…
Beim Wickeln greift meine Tochter neurgierig ins Regal über sich. Boing, schon landet die erste Windel in meinem Gesicht.
Noch kann ich meine verbliebene Energie sammeln und finde das witzig. Ich nehme selbst eine der Windeln und werfe sie vorsichtig zurück. Wir lachen. Es folgt prompt der harte Kamm, der mich am Oberarm trifft. Das tat weh. Ich sage „Au!“ und gebe den Kamm zurück an seinen Platz, bevor er gleich wieder durch die Luft fliegt. Diesmal landet er neben der Waschmaschine – an einer Stelle, an die ich nur schwer rankomme.
Ich merke, wie ich immer genervter werde.
Weitere Utensilien fliegen durch die Luft, gefolgt von ein paar Tritten. Einer trifft mich, wieder tut’s weh.
Meine Geduld ist zu Ende, ich tue meinen Unmut kund und das ziemlich laut. Lauter, als ich werden möchte.
Ohne schwammige Umschreibungen: Ich schreie.
Meine Tochter schreit weinend zurück. Und dann tut es ihr leid!
Es tut mir so leid. Dass sie sich entschuldigt bei mir, dass es nun ihr leid tut, was sie getan oder dass sie geschrien hat… Das tut mir so weh!
Alles auf Anfang: Wo lag der Fehler
Bei mir. Ich ließ die Situation immer und immer wieder Revue passieren. Fragte mich, woran es wohl lag, dass mein eigentlich gut gelauntes – wenn auch müdes – Kind plötzlich so abdrehte.
Dann wurde mir klar, dass ich aufgrund meiner Müdigkeit gedanklich völlig abgeschweift war: In meinem Hirn tummelten sich, während ich eigentlich meiner Tochter hätte zugewandt sein müssen, verschiedene Sätze, die ich später noch tippen wollte. Ich dachte daran, dass ich einen Termin im Kalender notieren und einen anderen noch vereinbaren musste.
Wir waren uns körperlich so nah, und doch war ich ganz woanders.
Die Folge: Ich war zwar körperlich da, mein Kopf aber woanders. Ich unterhielt mich nicht mit meiner Tochter, sie hatte nicht meine Aufmerksamkeit. Und das in einer Situation, in der wir sie frisch machten, umzogen, die Haare kämmten; in der wir uns so nah waren, miteinander beschäftigt. Und ich war woanders. Keine liebevolle Aufmerksamkeit, keine Fragen von mir, keine Reime, kein Spiel. Meine Tochter aber hatte das gerechtfertigte und nachvollziehbare Bedürfnis, von mir wahrgenommen zu werden. Also flogen erst die Windeln und dann… ihr kennt den Rest.
Mein Versuch: Das Jetzt zulassen und gemeinsam gestalten
Eine gute Variante, das Schreien zu vermeiden wäre wohl, es gar nicht zu einer Situation kommen zu lassen, in der uns zum Schreien zumute ist.
Das ist nicht immer möglich. Aber manchmal doch. In diesem Fall kann das so aussehen:
Dass Gedanken mal abschweifen, ist völlig normal. Es wäre absurd, an mich den Anspruch zu stellen, immer vollkommen – körperlich und geistig – hier zu sein. Bewusst im Hier und Jetzt zu sein und den Moment zu genießen, ist eines meiner großen Allzeitziele, aber das bedeutet auch, dass ich es noch nicht erreicht habe.
Was also tun?
Ich habe gemerkt, dass es zum Beispiel hilft, meine Gedanken zu verbalisieren, wenn mir auffällt, dass ich abschweife und mich deshalb nicht mit ihr beschäftige. Auch, wenn meine Tochter in den momentanen Gedanken nicht die Hauptrolle spielt, so kann ich sie doch miteinbeziehen. Einfach miteinander reden, sie teilhaben lassen.
Das kann etwa so aussehen: „Kannst du dich an die Frau erinnern, die wir letzte Woche getroffen haben? Die mit den blonden, langen Haaren und dem großen Hund?“ „Ja!“ „Ich hab gerade daran gedacht, dass ich sie nächste Woche schon wieder sehen werde. Und stell dir vor, das hab ich fast vergessen!“ Meine zweieinhalbjährige Tochter würde mich vermutlich mit großen Augen ansehen und fassungslos „Nein, Mama!“ sagen, ihre kleine Hand auf ihre Stirn klatschen und ungläubig den Kopf schütteln. Oder sie antwortet mit einem unbegeisterten „Hm.“
Egal wie: Ich habe mich ihr gewidmet und die Gedanken, die nunmal da waren und gehört werden wollten, mit ihr geteilt.
Ich könnte dann noch weiter über den Hund reden, vielleicht stößt der ja auf mehr Interesse…
Dieses Erlebnis schrieb ich vor einem Jahr nieder, veröffentlichte den Artikel aber bisher nicht. Nun habe ich ihn wiedergefunden und wollte gerne mit dir teilen, was mir damals, am Abend danach, durch den Kopf ging.
Ich bin sicher, du kennst ähnliche Situationen. Wie gelingt es dir, gedanklich präsent zu bleiben?
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5 Antworten
Warum so lange nicht veröffentlicht? Ist total toll!
Danke!Kam zur rechten Zeit ☺
Danke vielmals, wieder mal was ganz konkretes, praktisches, das mir sicher helfen kann
Alles Liebe Gabriele
Ich kenne das zu gut, wenn der Tag vollgepackt ist mit Eindrücken und einem selbst abends einfach die Kraft und der Elan schwinden. Das Lieblingskind ist dankbar für die schöne Zeit und scheint mühelos ohne Energie aufwenden zu müssen immer ganz bei mir, mit mir und im hier und jetzt zu sein. Ich wünschte ich könnte das auch!