Mini and Me

„Mama, du bist blöd!“ – Wie Kinder uns auf Missstände hinweisen und wir damit umgehen können

„Das sagt man nicht!“ oder „Tja, das solltest du nicht sagen, denn blöde Mamas lesen dir leider nichts vor!“ – Erziehung, Erpressung, Rügen. Die Reaktionen aufs kindliche „Du bist blöd!“ sind bunt wie Elternschaft selbst und oftmals beziehungsverhindernd. Ich möchte dich einladen, es als Hinweis zu sehen und in die Selbstreflexion zu kommen: Hat mein Kind womöglich recht? Unsere Kinder schicken uns „Wake Up Calls“ und machen uns so auf Dinge aufmerksam, die wir selbst nicht sehen. Die Frage ist: Können wir sie annehmen und damit umgehen, oder schalten wir in den Kampfmodus?

Mama, du bist blöd!

Mit dem Abendessen waren wir spät dran. Meine Tochter ließ sich gewohnt Zeit, genoss ihr Spiegelei und wollte – wie jeden Abend – noch ein paar Rätsel mit mir lösen. Das ist eines unserer liebgewonnenen Rituale, die sich einfach so ergeben haben. Die Fehlersuchbilder und Labyrinthe, die meine Tochter so liebt, helfen uns dabei, abends zu Ruhe zu kommen und etwas Witziges, Schönes gemeinsam zu machen, während wir am Tisch sitzen. Als wir so dasaßen, blickte ich immer öfter auf die Uhr. Schon 20.30 Uhr, und morgen müssen wir früh raus. Ich sagte meiner Tochter, dass ich in 5 Minuten Schlussmachen möchte, damit wir uns bettfertig machen können. Sie nickte. Dann kam, was meistens kommt: Nur noch ein Rätsel, nur noch eben mit den kleinen Marienkäfterfiguren spielen, nur noch eben… Wir einigten uns auf ein paar Dinge, aber anders als sonst merkte ich, wie ich immer unruhiger wurde. Irgendwann machten wir uns dann auf ins Badezimmer.

Und weil es so lustig war, und wir es so schön hatten, wollte meine Tochter – nachvollziehbarerweise – auch diesen Part des Tages spielerisch gestalten. Sie hatte dazu tolle Ideen! Aber mir war es zu viel. Ich verneinte, war gestresst, stresste und drängte sie. Ich war nicht „bei mir“, sondern zu einem angespannten Stressberg mutiert.

Irgendwann war es ihr dann auch zuviel, und sie ließ es mich lautstark wissen, als sie wütend in ihr Zimmer ging: „Du bist eine blöde Mama! Red‘ nicht so mit mir!“

Huch!

Ein Teil von mir wollte, als ich so „außer mir“ war, antworten: „Blöd? Wie bitte? Ich spiele da mit dir, wir machen alles, was du willst, und dann bin ich blöd? Ich mag nicht mehr! Du musst ins Bett! Sonst ist morgen der ganze Tag schwierig! Und was heißt bitte ‚Red‘ nicht so mit mir?‘ Red‘ du nicht so mit mir!“

Aber ich sagte es nicht.

Ich erkannte, dass meine Tochter die „Stopp!“ Taste für mich gedrückt hatte! Sie tat das für mich, weil es mir selbst nicht gelungen war, mich zu stoppen, tief durchzuatmen und liebevoll zugewandt zu bleiben.

Über elterliche Verantwortung

Ja, es ist spät. Berichtigt mich das nun dazu, mich meinem Kind gegenüber schlecht zu benehmen und meinen Stress auf das Kind zu übertragen? Nein. Denn dass es so spät geworden ist, liegt alleine in meiner Verantwortung. Ich bin für den Tagesablauf zuständig, für die „Planung“ und es ist meine Angelegenheit, alles zeitlich so hinzubekommen, dass ich möglichst nicht gestresst bin. Das liegt nicht in der Verantwortung des Kindes, wie die allermeisten Dinge.

Eine zweite Sache, für die ausnahmslos ich die Verantwortung trage, ist die Qualität der Beziehung zwischen meinem Kind und mir. Ich bin dafür zuständig, niemals das Kind.

Natürlich kann ich auch hier in den Dialog gehen, und wir machen uns Dinge gemeinsam aus. Und ja ich soll mich mitteilen, kann sogar aussprechen, dass ich merke, dass ich gestresst bin, weil es schon spät ist und weil ich fürchte, dass wir morgen erschöpft sein werden, wenn wir nicht bald ins Bett gehen. Wunderbar! Sprechen wir miteinander!

Aber „sich mitteilen“ ist etwas ganz anderes als Druck zu machen, das Kind zu stressen und ihm somit die Verantwortung für meine Gefühle aufzubürden. Das wäre eine Last, die kein Kind tragen müssen sollte. Auch hier nicht.

Stopp! Mit kindlichen „Wake Up Calls“ umgehen

Gerade das Wort „blöd“ wird von den allermeisten nicht als „Schimpfwort“ angesehen und taucht öfter auch im Gespräch mit Kindern auf, um etwas zu beschreiben. Warum wundern wir uns dann, wenn unsere Kinder es auch zur Beschreibung von uns selbst verwenden, wenn wir uns auf eine Weise verhalten, die für sie zur erlernten Bedeutung von „blöd“ passt? Vielleicht wählt dein Kind auch andere Worte oder Ausdrucksmittel, die ihm in diesem herausfordernden Moment zur Verfügung stehen.

Leben wir im Vertrauen mit und an unsere Kinder, werden wir schnell etwas Wichtiges feststellen: Kinder kommunizieren, auch hier. Sie machen uns mit ihrem Verhalten auf etwas aufmerksam, weisen auf einen Missstand hin.

Die Frage ist: Kannst du den Hinweis (an-)nehmen, oder triggert er dich noch mehr?

Meine Tochter hat mich unterbrochen, als ich selbst nicht bewusst hatte, dass es notwendig war.

Sie unterbrach meinen unreflektierten, unnötigen Redeschwall, der sich gerade über sie ergoss. Sie nahm meine innere Anspannung an meiner Stelle wahr, und erst nach ihrem „Stopp“ konnte ich mich selbst stoppen, wieder in Kontakt mit mir kommen und die Selbstanbindung wiederherstellen.

Plötzlich spürte ich meinen angespannten Körper, ich fühlte den starken Herzschlag, die Enge im Hals. Und ich konnte durchatmen und langsam wieder zurück in den Moment kommen.

Was dann folgte, verwunderte sogar meine Tochter. Ich sage zu ihr: „Weißt du was? Du hast recht! Ich habe mich gerade wirklich blöd verhalten.“ Sie guckte mich an, ihre Augen waren weit geöffnet. Und sie lächelte. „Wirklich?“ Ich lachte: „Ja, danke dass du mir das klargemacht hast. Bitte sag mir immer Bescheid, wenn ich mich doof verhalte. Das hilft mir!“ Ich nahm sie in die Arme und wir widmeten uns weiter unserer Zu-Bett-Geh-Routine.

Mach dir bewusst, was dich stresst

Abgesehen von den – manchmal sehr direkt formulierten – „Wake Up Calls“ unserer Kinder, gilt es in meinen Augen, uns unsere Stressoren bewusst und ausgiebig anzusehen. Wir müssen erforschen, warum uns manche Dinge stressen und dabei nicht im Jetzt stehenbleiben, sondern mit unseren Betrachtungen zurückgehen: Wie bist du geworden, wer du bist? Warum stresst dich eine Sache so? Was passiert in deinem Körper? Wovor hast du Angst? Angst meint hierbei alles, was wir nicht erleben wollen, uns entsprechend in eine „Vermeidungshaltung“ bringt und dadurch unseren Handlungsspielraum enorm einschränkt.

Wirst du sterben, wenn dein Kind später ins Bett kommt, als sonst? Ziemlich sicher nicht. Und wenn der darauffolgende Tag etwas schwieriger wird (was du noch gar nicht sicher weißt, weil du nicht in die Zukunft blicken kannst), dann wirst du auch damit umgehen.

So gut und liebevoll du das gerade kannst.


Über Stressoren, wie du sie aufdeckst und was du ihnen entgegensetzen kannst, wirst du in meinem im Frühjahr 2019 erscheinenden Buch ausführlich lesen.

Drückt dein Kind auch für dich manchmal die „Stopp“ Taste?

Ich freue mich auf deine Erfahrungen!


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9 Antworten

  1. Mein Sohn und ich haben beinah jeden Morgen solche Situationen. Ich denke aber nicht dass ich im Stress am Morgen bin, zumindest am Anfang nicht. Häufig wacht er auf und alles was ich anbiete ist falsch. Nachdem ich befände mal ruhig geblieben bin, ist meine Grenze meistens erreicht. Ich schalte meistens in den Modus „Dann ist es mir jetzt auch egal und möchte einfach nur noch dass wor irhwbdwie das Haus verlassen“ um. Zwischendurch komm ich da wieder raus, aber ihn triggert immer und immer wieder irgendetwas an meinem Verhalten. Ich denke nicht dass es eine Stopptaste ist. Und wenn doch kann ich nichts dagegen tuen, weil wir nun mal am Mirhen frühstücken müssen und irgendwann auch aus dem Haus müssen. Ich habe mir so viele Gedanken darum gemacht, wie wir diese schlechten Gefühle loswerden können und friedlicher miteinander umgehen können, aber ich habe noch keinen Weg gefunden.

  2. Danke für diesen reflektierenden Artikel. Mein Sohn drückt ab und zu auch mal diesen Knopf und meistens bin ich dankbar, weil ich in dem Moment reflektieren kann schauen kann, dass ich eigentlich ein Problem habe und nicht mein Kind. Dann atme ich tief durch und wir setzen noch mal neu an.

  3. Danke für den tollen Artikel. Ich hatte heute einen echten Motztag. Mein kleiner 3 jähriger Sohn hat heute zu mir gesagt, er fände es nicht schlimm, wenn ich tot wäre. Ich weiß er ist erst drei und kann überhaupt nicht begreifen, was er mit solchen Worten anrichtet und wie verletzend soetwas ist. Dein Artikel hat mich zum Nachdenken gebracht und ich werde definitiv beim nächsten Mal, bevor ich zu motzen ansetze daran denken. Denken an das Warum und Wer Schuld am Stress ist. Wenn ich ganz ehrlich bin, bin ich es selbst und das i-Tüpfelchen sind dann eben die kurzen Momente, in denen die Kinder dann nicht hören bzw. tun was sie in dem Moment tun sollen. Aber wenn ich davor schon zu spät dran war und ihnen zu spät gesagt habe, ihre Schuhe bitte anzuziehen, dann kann ich sie wirklich nicht dafür verantwortlich machen, dass wir zu spät zu unserem Termin kommen. Was ich aber leider manchmal tue. Ich finde es manchmal unglaublich schwer, aus so einer gestressten Phase wieder rauszukommen. Da braucht es manchmal nicht viel und man ist auf 180. Ich werde mir diesen Artikel auf jeden Fall zu Herzen nehmen. Danke nochmal.

  4. Ich war sehr gespannt auf den Artikel. Ich bin nämlich sehr oft „blöd“ und sehr oft über die Maßen gestresst…einfach aus dem Grund, dass ich jetzt zwei Menschlein mit ihren Bedürfnissen berücksichtigen muss. Nein, halt 3! Denn irgendwo bin schon auch ich auch noch.
    Wenn der Neugeborene Bruder schreit, kann ich mir nicht die Zeit nehmen, die der große Bruder möchte. Und der kleine Bruder schreit oft, denn er braucht sehr viel. Ich kann die Konflikte und nicht ideal gelaufenen Begegnungen nicht immer auflösen und vieles knackst die Beziehung an…
    Auch das ist authentisch und auch das lernen sie, dass ALLE Bedürfnisse haben und Mama nur zwei Hände. Das sage ich meinem 3jährigen immer.
    Ich finde es viel wichtiger, dass der Tag mit einem „ich liebe dich! Du machst das prima und ich weiß, wie schwer das sein muss“ endet…
    Und einige ehrliche Gespräche über das, was mich als Mama überfordert und dass es mir leid tut, dass ich oft falsch reagiere.
    Manchmal ist sofort nicht immer möglich… Aber Ehrlichkeit und Authentizität und Vergebung sind immer möglich!

  5. Hallo,
    vielen Dank für den tollen Artikel, der gerade zur rechten Zeit in meine Finger fiel. Gerade gestern hatte ich so eine Situtation, und was soll ich sagen: meine kleine Tochter hatte völlig recht, mir die Grenzen zu zeigen. Ich musste nicht so gestresst sein, sie nicht so hetzen.
    Interessant, was solch ein Perspektivwechsel auslösen kann! Danke für den Denkanstoß!
    Viele Grüße
    A

  6. Mein Sohn 3,5 sagt das ständig schon kurz nach dem Aufwachen. Wenn nicht alles gleich nach seiner Nase tanzt. Du bist blöd du bist ein ungeheuer du musst weg ich will eine neue Mama
    … etc. Werde gehauen getreten gebissen, wenn ich „einfach“ nur im Weg stehe.
    Sein Vater findet das recht amüsant, er weißt ihm keine Grenzen auf Logo das „Mama dann die blöde ist“ das ganze geht schon so lange das ich mir von den Herren eine Auszeit nehmen werde. Und ich fühl mich kein bisschen egoistisch. Seit der Schwangerschaft weder Kino, Essen etc mein Highlight ist es mal ohne Kind 15Minuten zum Friseur zu schaffen. 24h 7Tage 52 Wochen und jetzt komm ich!!!

  7. Was für ein Theater, Kinder müssen Grenzen erfahren! Mamas sind nun mal auch nur Menschen d.h. Wir sind gestresst, haben vielleicht mal einen schweren Tag oder was auch immer. Man kann nicht immer rational sein und das muss man auch nicht. Wir müssen auch nicht permanent Wunscherfüller für unsere Kinder sein, wenn heute mal Etwas nicht geht, dann ist das halt so. Kinder brauchen auch mal ein „Stop“! Denn je mehr wir zulassen und erfüllen um so fordernder werden die lieben Kleinen. Also gern mal dazwischen ein „es geht jetzt nicht“ dann werden die gemeinsamen Zeiten geschätzt und achtsamer damit umgegangen.

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