Fehlgeburten gehören zu jenen Themen, über die nicht oft gesprochen wird. Dabei sind viel mehr Frauen betroffen, als man zunächst annehmen könnte. „Reden hilft“, das wissen auch die beiden Mütter, die ihre Erlebnisse hier teilen. Über die Bewältigung eines Schicksalsschlages.
Dieser Artikel erschien im TIPI Familienmagazin Winter 2016.
Fehlgeburt: Stille Trauer
„Ich wusste bereits, dass es dich gibt, lange bevor ich über den Schwangerschaftstest jubelte. Ich hab dich gefühlt und die Unruhe in meinem Bauch gespürt, wie Schmetterlinge. Du warst da. Und ich hab dich geliebt.
Du bist nicht lange bei mir geblieben, aber es braucht auch nicht lange, um ein Teil unserer Familie zu werden. Die kurze Zeit, in der du mit uns warst, waren wir komplett. Und so, so glücklich.“
Mit diesen Zeilen an ihr verlorenes Baby beschreibt die amerikanische Mama und Autorin Lauren Patterson ihre Zeit der stillen und – vor allem – einsamen Trauer. Lauren ist eine von vielen Frauen, die im Laufe ihres Lebens eine Fehlgeburt hatten. Wie viele Frauen genau betroffen sind, ist schwer zu sagen. Zu verschieden sind die Messgrößen, die bei den unterschiedlichen Studien herangezogen werden. Die Angaben reichen von 10 bis 70 Prozent. Fest steht: Es sind mehr Frauen, als man meinen würde, wenn man bedenkt, wie die Gesellschaft mit dieser Thematik umgeht. Es sind vor allem zu viele, um darüber zu schweigen.
So an den Rand unseres Bewusstseins gerückt, kann bei betroffenen Frauen das Gefühl entstehen, sie seien mit ihren Erfahrungen alleine. Das ist nicht richtig.
Im Gespräch erzählen die beiden Mamas Lisa und Anna von ihren ganz persönlichen Erfahrungen und dem Umgang mit ihren Fehlgeburten. Darüber reden hilft – da sind sie sich einig.
Zu früh
Lisa schreibt einen österreichischen Mamablog und thematisiert dort auch ihre Erfahrungen mit dem Tod. In der 20. Schwangerschaftswoche hatte sie einen Blasensprung, der sich nicht mehr schließen ließ. Die Ärzte sagten ihr, dass ihre Tochter Karoline zur Welt kommen würde, aber keine Überlebenschancen hätte. „Wir hatten dann fünf Tage lang Zeit, uns mit dieser Tatsache auseinanderzusetzen und zu trauern“, sagt sie.
Ihre Gefühle fuhren in dieser Zeit Achterbahn. Sowohl Verzweiflung und Trauer, als auch Liebe und Dankbarkeit hatten ihren Platz.
Die Zeit vom Blasensprung bis zur Geburt fühlte sich für Lisa nicht real an. Täglich wurde ein Ultraschall gemacht, um zu sehen, ob Karoline noch lebte. Wenn ihr Herz zu schlagen aufgehört hätte, hätte die Geburt eingeleitet werden können. Lisa erzählt, dass sie von Anfang an wusste, dass ihre kleine eine Kämpferin war, die ihre Eltern persönlich kennenlernen wollte.
Ihre Tochter Karoline kam von selbst lebend zu Welt. Lisa und ihr Mann wurden nicht müde, sie zu betrachten und voller Begeisterung und Stolz über ihre schöne Tochter zu sein. „Obwohl es erst die Mitte der Schwangerschaft war, war Karoline schon fertig“, erzählt Lisa. Sie hätte nur noch Zeit gebraucht, um zu wachsen. Lisa und ihr Mann durften noch eineinhalb Tage mit ihrer Tochter verbringen: „Ich bin noch heute dankbar und froh um diese Zeit, die wir nur mit ihr hatten.“
Was wäre, wenn?
Anna ist Mitte 30 und hatte insgesamt sieben Fehlgeburten zwischen der 5. und 16. Schwangerschaftswoche. Ihre Erlebnisse teilt sie anonym. Auf die Frage, wie sie genannt werden möchte, sagt sie: „Anna. So hätte meine erste Tochter geheißen. Das passt gut.“ Der Grund für die vielen Aborte wurde mittels Blutuntersuchung festgestellt: Das Faktor-5-Leiden ist eine genetische Blutgerinnungsstörung. Als Anna das Ergebnis erfuhr, atmete sie auf, da die Behandlung mit Blutverdünnungsmitteln vergleichsweise einfach umzusetzen war. Heute ist sie Mutter zweier gesunder Kinder und glücklich verheiratet mit einem wunderbaren Mann und Vater.
Anna denkt zurück: „Manchmal bin ich ehrlich gesagt nicht undankbar, dass mein erstes Kind von meinem damaligen Partner nicht bei mir geblieben ist.“ Sie erzählt, dass die Situation sehr schwierig und ihre Beziehung nicht stabil war. Womöglich hätte sie ihren Ehemann mit einer damals bereits achtjährigen Tochter niemals kennengelernt, überlegt sie. Annas erste Fehlgeburt war auch ihre späteste, am Ende der 16. Woche – nur vier Wochen, nachdem sie ihre Schwangerschaft bemerkt hatte.
Die anderen Kinder wären Wunschkinder mit ihrem Mann gewesen. „Ich habe mich über jeden positiven Schwangerschaftstest gefreut und war über jeden Abort traurig – irgendwie aber, durch meine erste Erfahrung, auch darauf vorbereitet“, erzählt Anna. In dieser schwierigen Zeit konnte Anna mit ihren Freundinnen über alles reden. Ihrer Familie erzählte sie jedoch erst von ihren Erlebnissen, als sie mit ihrem gesunden Kind über 12 Wochen schwanger war.
Ein Tabu
„Wir leben in einer leistungsorientieren Gesellschaft, in der alles machbar ist bzw. machbar sein muss“, erklärt die dipl. psychologische Beraterin Nicola Widmann im Interview: „Frauen empfinden Fehlgeburten deshalb oftmals als persönliches Versagen.“ Dass viele – vor allem frühe – Fehlgeburten eine natürliche Einrichtung unseres Körpers sind, sei nicht in unseren Köpfen. Sobald das Erlebte als selbstverschuldet wahrgenommen wird, schweigt man lieber darüber, weil man sich vor den Reaktionen des Umfelds schützen möchte. Lisa sagt, dass sie mit Freunden und Verwandten über das Erlebte sprechen konnte. Jedes Mal heilte die Wunde ein bisschen, Schmerz und Trauer mussten einfach raus. Sie konnte sich anvertrauen, Familie und Freunde haben zugehört, nachgefragt und waren für sie da. „Keiner wollte es verschweigen“, sagt sie und fügt hinzu, dass ihr Mann sicher die größte Hilfe für sie war, der ihr während der ganzen Zeit zur Seite stand. Lisa beschreibt, dass sie diesen Weg gemeinsam gingen – jeder auf seine Art, aber immer zusammen.
Der Druck von außen ist groß. Anna wurde häufig auf ihren Kinderwunsch angesprochen. Wenn man die Situation kennt, in der sie sich damals befand, wird klar, wie unangenehm das war. „Einerseits möchten anscheinend viele Menschen über ein so privates Thema wie die Familienplanung sprechen, andererseits will niemand hören, dass es dabei Probleme gibt“, sagt sie und erzählt, dass ihrer Erfahrung nach fast alle Frauen in einer Gesprächsrunde nicken und selbst von ihren Erlebnissen sprechen, sobald eine das Schweigen gebrochen hat. Warum es dennoch keinen allgemein offeneren Umgang damit gibt, kann sie nicht festmachen. Sie spricht sehr offen über ihre Erfahrungen, weil sie sich damals selbst jemanden gewünscht hätte, der ihr sagt, dass sie nicht alleine ist.
Das Leben danach
Darauf angesprochen, wie es Anna gelang, das Erlebte zu verarbeiten, erzählt sie lächelnd: „Mein Mann und ich haben für unsere Kinder kleine Kieselsteine beim Grab meiner Großeltern hingelegt.“ Die kleinen Steine fallen niemandem auf, machten es ihr aber leichter, loszulassen. Anna ist nicht gläubig, aber es ist ein schönes Gefühl, ihre toten Kinder und die sehr liebevollen Großeltern zusammen zu wissen.
Lisa halfen ihr Glaube an Gott und die vielen positiven und liebevollen Erlebnisse rund um Karolines Tod. Sie sagt: „Ja, man kann so ein Erlebnis wirklich verarbeiten, und das sollte auch das Ziel sein.“ Sie und ihr Mann wuchsen durch die Erfahrung enger zusammen und gehen den Weg seither noch sicherer als zuvor. Lisa denkt viel an ihre Tochter, sie ist Teil ihres Lebens und der Familie. Auch ihr großer Sohn, der zum Zeitpunkt von Karolines Geburt knapp drei Jahre alt war, erinnert sich an seine Schwester, spricht mit ihr und schickt – gemeinsam mit seinen Eltern – Bussis in den Himmel.
Hattet ihr selbst eine Fehlgeburt? Was sind eure Erfahrungen mit dem Thema?
Wenn ihr mögt, teilt sie hier in den Kommentaren mit anderen Frauen. Natürlich gerne auch anonym.
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4 Antworten
Hallo Jeannine.
Ich hatte dieses Jahr auch zwei FG (9.ssw und 8.ssw)hintereinander. Obwohl wir schon ein gesundes Kind haben… beim ersten mal könnte ich es kaum fassen. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass mir/uns so etwas passieren würde.
Wie machten eine kurze Pause und als ich wieder schwanger War, konnte ich mich nicht mehr zu 100%freuen… die Sorge, dass es wieder so kommt war zu groß. Jedoch wollte ich auch nicht wahrhaben, dass es mir womöglich nochmal so gehen würde. Leider bestätigte sich das und es endete wieder in einer FG.
Komischerweise habe ich dir 2. FG leichter „verkraftet“ als die erste.
Aber die Angst wird mich wohl nicht mehr loslassen. Man ist ein „gebranntes kind“. Je mehr man nachdenkt… Man darf einfach nicht zu viel denken.
Und ich versuche mir immer wieder im Kopf zu behalten, dass alles für etwas gut ist… Man weiß es nur noch nicht wofür. Oder wird es wohl nie erfahren.
Ich spreche mit meinem engsten Leuten darüber. Aber erst seit der 2. FG.
Nach der ersten wollte ich es nicht zu vielen sagen… Ich schämte mich einfach.
Und am meisten schmerzt es wenn alle Leute rundherum fragen, wann man denn das 2. Kind möchte und das wir uns beeilen sollen… Wenn wenn die wüssten was ich durchmachen musste, dann würden sie diese Fragen nicht mehr stellen.
Naja. Trotzdem muss es irgendwie weitergehen. Im Herzen sind meine 2 Sternchen fest verankert.
Vielen Dank für Deinen Artikel. Ja, dieses Thema sollte kein Tabu bleiben, es gibt so viele Eltern von Sternenkindern, die Unterstützung brauchen!
Wir haben unser kleines Küstensternchen in diesem Frühjahr verloren, das hat uns tief getroffen. Auch wenn ich es nie im Arm halten werde, trage ich unser Küstenmini für immer in meinem Herzen.
Seit dem Verlust beschäftige ich mich auch auf meinem Blog mit dem Thema; es ist schwer und gut zugleich, darüber zu schreiben und sich auszutauschen. Ich glaube, dass Reden hilft: http://kuestenkidsunterwegs.blogspot.de/2016/09/erste-hilfe-fur-eltern-von.html .
Ganz liebe Grüße und fühl Dich gedrückt, wenn Du magst!
Küstenmami
Hallo,
ich habe lange Zeit gebraucht um öffentlich darüber reden zu können. In meinem privaten Umfeld war es manchmal möglich, auch wenn die meisten Menschen (auch mein Mann) mit der Thematik überfordert waren. Die letzten drei Jahre habe ich ziemlich alleine versucht damit klar zu kommen. Auf meinem Blog habe ich nun darüber erstmals geschrieben.
„Ich bin kein Tabu“ http://tiliaspuresleben.weebly.com/blog/ich-bin-kein-tabu
„Mensch möcht ich sein“ http://tiliaspuresleben.weebly.com/blog/mensch-moechtich-sein
Bei den „Klangreisen & Frauenkreisen für Sternenkindmütter“die ich seit kurzem anbiete, ist es immer sehr bewegt, berührend und heilsam sich mit Frauen darüber auszutauschen. Ich finde es wichtig, dass wir uns gegenseitig beistehen.
Ganz liebe Grüße
Daniela
Ein sehr schöner Artikel! Ich hatte 2013 in der 22. Woche einen Abort. Bei der Untersuchung haben wir erfahren, dass unsere Tochter schon 2 Wochen nicht mehr am Leben war…niemals hätte ich gedacht, dass mir (jung und gesund) sowas passieren würde…nach einer Woche im Krankenhaus kam unsere Tochter still zu Welt. Sie war, wie im Artikel beschrieben, fertig aber noch so klein..wir waren so traurig und verzweifelt…mein Mann hatte während dem Aufenthalt im KH Zeit zum verarbeiten, aber ich selbst habe seeeeehr lange gebraucht um halbwegs damit umzugehen. Ich habe es auch als persönliches Versagen erlebt, meine Tochter nicht beschützen zu können…dadurch waren die ersten Monate der nächsten Schwangerschaft sehr stressig und voller Sorgen! Wir haben uns dann ein ein kleines tragbares Ultraschallgerät gekauft, mit dem man die Herztöne hören konnte, dadurch wurde ea so viel leichter! Wir haben jetzt einen gesunden 2jahrigen Sohn, für den ich Gott jeden Tag danke…ich weiß aber nicht, ob ich das nochmal durchmachen möchte…