© Julia Spicker Photography
„Hm, nein, den Stress mach ich mir nicht. Sie ist total unkompliziert.“ Ich sitze L. in der Konditorei gegenüber. Ihr Kind, ein paar Monate jünger als Mini, wird gerade angedockt. Einhändig drapiert L. die weiße Stoffwindel über dem kleinen Köpfchen. Ich kenne sie nicht gut, aber da wir eben beide Jungmamas sind… naja, ein gemeinsamer Café war naheliegend. Seit wir gegenüber Platz genommen haben, ihr Kind ruhig vor sich hin schlummert und Mini, aufgeregt ob der vielen Leute, auf mir herumturnt, bekomme ich im Grunde genommen immer wieder dieselbe Antwort: „Also, bei uns ist alles bestens!“ Wie frustrierend.
Ich finde ja, ich mach diese ganze Muttersache ziemlich gut. Aber manchmal… Manchmal bin ich einfach zu ungeduldig. Manchmal, wenn meine Tochter sich nicht wickeln lassen möchte, sich windet, nach allen Seiten dreht, den Wickeltisch zerlegt, da spüre ich diesen Druck auf der Brust. Manchmal erwische ich mich dabei, wie ich erschöpft mit den Augen rolle und seufze, weil Mini nachts innerhalb einer Stunde mehrmals nuckeln möchte. Und dann noch einige Male auf die Nacht verteilt. Manchmal finde ich allein die Vorstellung, mit ihr ohne weitere Begleitung mit dem Auto zu fahren, als zu stressig. Manchmal belastet mich die Tatsache, dass sie noch immer oft nur auf oder direkt neben mir schlafen möchte. Ich funktioniere als Mutter ja eh ständig, aber manchmal eben nicht perfekt.
Und dann ist da L., die den Laden anscheinend einhändig schupft. Kurz meldet sich ihr Baby. L. schiebt die fast ein bisschen zu schön drübergelegte Stoffwindel zu Seite, guckt zu ihrem Kind und macht die Luke wieder zu. Den Fortpflanz stört’s nicht. L. erzählt mir, wie unkompliziert das alles sei, mit Baby, als Mutter, als Familie. Sie stresst sich auch überhaupt nicht und es fällt ihr alles recht leicht, erklärt sie achselzuckend. Ja, die Geburt verlief nicht wie geplant, es war ein Kaiserschnitt notwendig. Anscheinend hat sie mittlerweile, ein paar Monate später, auch damit nicht mehr zu kämpfen: „Was sein muss, muss sein. Es war notwendig und ist deshalb in Ordnung so.“ Irgendwie beneide ich diese Coolness, diese Abgeklärtheit. Sie erzählt mir weiter, dass sie und der Vater ihres Kindes nun noch enger zusammengerückt seien. Es klappt alles beinah wie von selbst. Sie verstehen sich prima.
Irgendwann fällt mir auf, dass ich anscheinend bereits vor Minuten in ein bejahendes, verständnisvolles Dauernicken verfallen bin. Und dieses freundliche, starre Lächeln die ganze Zeit. Ein Lächeln, das sagt: „Genau wie bei uns.“ Aber warum lüg ich denn da?
Der Babyblues nach meinem Notkaiserschnitt war kein Spaziergang. Die ersten Wochen hatte ich nichts im Griff, nicht mal mich selbst. Als sich das gelegt hatte, waren unsere neuen Rollen für Papa und mich überhaupt nicht selbstverständlich. Wir mussten hineinwachsen, den anderen als Elternteil kennenlernen. Herrgott, wir hatten ja keine Ahnung, wie wir selbst mit dieser Aufgabe funktionieren würden. Das Stillen war in der ersten Zeit auch nicht einfach. Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, alles falsch zu machen. Da war so viel Platz für Unsicherheiten, für Versagensängste. Der postnatale Hormoncocktail machte mich angreifbar und gleichzeitig angriffslustig. Minis Papa bekam das volle Breitseite ab. Nur ich konnte Mini richtig wickeln, nur ich wusste, was sie wann braucht und nur ich wusste sowieso alles besser. Dass ich freilich selbst keine Ahnung hatte, wusste ich auch. Aber meinem Partner gab ich da eben ein ganz anderes Gefühl. Übermüdung, Unsicherheit und falsche Rücksichtnahme stellten nur einige der Anpassungsprobleme dar, mit denen wir als Paar und Eltern in der ersten Zeit mit Baby zu kämpfen hatten. Das war nicht einfach. Ja, wir haben diese Zeit hinter uns gelassen, sind jetzt ein eingespieltes Team, lieben uns und das Leben als Familie. Aber „wie von selbst“ ging, vor allem anfangs, wenig.
An diesem Nachmittag mit L. und ihrem Baby im Café erzähle ich nichts von den Schwierigkeiten, mit denen ich mich als Frau und Mutter konfrontiert sah. Es passt irgendwie nicht dazu, denke ich mir. Und ganz ehrlich: Ich möchte mich nicht öffnen, nicht zugeben, dass ich die Elternschaft manchmal als großen, schweren Stein im Magen empfand. Ich müsste erklären, dass dieses Empfinden aber nichts mit meiner Tochter zu tun hat, die ich über alles liebe. Ich müsste sagen, dass mir einfach die Aufgaben, die Verantwortung, der Druck manchmal nach wie vor zu viel werden. Also sage ich nichts.
Ich nicke und lächle. Weniger bejahend als davor, aber immer noch. Ich höre ihr weiter zu. Ich erinnere mich daran, dass ich damals, in der Situation, nicht so offen über diese Schwierigkeiten gesprochen hätte. Schon gar nicht mit einer flüchtigen Bekanntschaft. Vielleicht erzählt L. mir da auch nicht die ganze Wahrheit. Vielleicht wird es auch ihr manchmal einfach zu viel. Und während ich mir das denke, frage ich mich, ob ich nicht genau das insgeheim auch ein klein Bisschen hoffe.
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6 Antworten
Liebe Jeanine.
Ich lese deinen Blog wirklich sehr gerne und mag besonders diesen Artikel sehr gern, der genau zeigt wie du denkst, fühlst, und die Welt siehst.
Du scheinst eine sehr intelligente Frau zu sein, die alles perfekt, vielleicht auch manchmal zu perfekt machen will.
Ich kenne auch viele Mütter, denen es geht wie L. Und ich muss zugeben, meine Tochter ist 7 Monate alt und auch mir geht’s wie L.
es war zwar ein Kaiserschnitt nötig aber sonst lief bis jetzt alles total unkompliziert.
Es steht mir zwar nicht zu, darüber zu urteilen, aber mir kommt vor, dass du dir mit deinem Perfektionismus einfach selbst oft im Weg stehst. Kann das sein?
Ich erinnere mich als du über deine Geburt und die Anästhesistin geschrieben hast „einfach locker lassen“ wäre vielleicht echt oft ganz gut. Dann wär in deinem Leben vielleicht einiges ein bisschen einfacher.
Wie gesagt, ich finde dich und deine Beiträge toll, reflektiert usw. jedoch finde ich, dass man Schwangerschaft, Geburt, und das Mutter sein ein bisschen lockerer nehmen könnte – dann funktioniert vieles besser.
(Weiß ich aus eigener Erfahrung, da ich das im Leben selbst erst lernen musste) ?
Hi Tanja, danke dir für dein Kommentar und die investierte Lebenszeit! Und natürlich fürs Lesen! :) Du hast recht, ich bin eine absolut perfektionistische Frau, die zum Glück durch die Mutterschaft schon einiges davon ablegen konnte. In manchen Bereichen wie zum Beispiel meiner Arbeit bin ich aber sehr froh, so veranlagt zu sein. Es hat alles seine Vor- und Nachteile. Zwei Dinge möchte ich dennoch anmerken: Einerseits denke ich, dass du diesem Artikel etwas zu viel Bedeutung beimisst. Im Grunde erzählt er von einer jungen Mama und den Unsicherheiten, die die Mutterschaft für sie bereithielt. Und sie gibt zu, dass sie sich „Leidensgenossinnen“ wünscht. Es gibt Frauen, bei denen läuft zum Glück alles super. Aber es gibt auch Mütter, die nur so tun. Ich freu mich, dass du zu Ersteren gehörst. :) Dass der Artikel genau zeigt, wie ich die Welt sehe… puh, ähm nein, da möchte ich doch hoffen, das noch etwas mehr dahintersteckt. Also, dass meine Sicht auf die Welt doch etwas vielschichtiger ist, als dass man alles aus einem einzigen Artikel herauslesen könnte. :) Und was mich leider getroffen hat: Mich auf einen Satz anzusprechen, der mich beinah in eine Depression gestürzt hat und dann hinzuzufügen: „Dann wär in deinem Leben vielleicht einiges ein bisschen einfacher.“ Ich weiß, dass ich mich angreifbar mache durch einige Texte. Mein primäres Ziel hierbei ist es, Frauen zu helfen, denen es ähnlich geht. Das gelingt meist ganz gut, darauf bin ich stolz. Aber Depressionen kann man leider nicht beeinflussen. Auch, wenn es nicht mit böser Absicht war, hat mich deine saloppe Formulierung doch getroffen, muss ich sagen. Ich hab lang nachgedacht, ob und wie ich darauf eingehen soll. Aber so bin ich nunmal, ich muss die Dinge dann doch sagen. ;) Ansonsten hast du völlig recht, es wird um viele Themen – gerade beim Mamasein – ein irrsinniger Hehl gemacht, sie werden aufgebauscht, etc. Mit mehr Gelassenheit, auch sich selbst gegenüber, geht’s besser. Alles Liebe!
Das tut mir sehr leid, und ich möchte mich vielmals entschuldigen – es war keine absucht dich in irgeneiener Weise persönlich zu treffen.
Wie gesagt – ich finde deinen Blog großartig, und ich bin mir sicher, dass dich dein Perfektionismus in vielen Lebenslagen sehr weit gebracht hat (siehe auch schon der tolle Blog allein) – aber Mutter sein verlangt oft das Gegenteil, kommt mir vor.
Man muss oft die Dinge einfach als gegeben hinnehmen können, wenn mal etwas nicht so nach den eigenen Vorstellungen funktioniert. Und das ist sicher nicht einfach für uns alle, in einer Zeit in der die Gesellschaft von uns Frauen/Mütter alles abverlangt.
Ich hab so auf deine Antwort gewartet und freu mich sehr darüber! :) Weil ich gehofft hab, dass du mein Kommentar nicht irgendwie falsch verstanden hast, weil ich es gar nicht böse gemeint hab. Ich weiß auch, dass es nicht deine Absicht war, mich zu treffen. Ist ja auch für mich spannend zu sehen, in wie weit man doch Dinge von sich preisgibt, wenn man immer wieder mal persönliche Themen aufgreift. Weil man ja eigentlich denkt, das schon gut abschätzen zu können. Aber wenn jemand regelmäßig mitliest, lernt diejenige einen dann doch ein wenig kennen, offenbar… ;) Und du hast absolut recht, meine Tochter hat mich auch dahingehend so vieles gelehrt. Sie ist der beste Coach, den man sich wünschen kann, wenn es ums Kennenlernen und Akzeptieren der eigenen Grenzen geht. Da bin ich ganz deiner Meinung! Ich denke, es tendieren sehr viele Menschen – meines Erachtens nach vor allem Frauen und Mamas, ganz wie du sagst – dazu, sich zu viel abzuverlangen. In diesem Sinne ja, absolut, die Dinge wo möglich lockerer zu sehen, einen Gang runterzuschalten… das sollten wir fast genau so sehr versuchen, wie unseren eigenen (oft zu hohen) Ansprüchen zu genügen. Ich danke dir fürs Lesen, ehrlich! Welche Themen interessieren dich besonders? Würd mich wahnsinnig über deinen Input freuen!
Ich bin irgendwie über Instagram auf dich und deinen Blog gestoßen und sitze nun schon den ganzen Abend vorm Laptop und schmökere mich durch :)
Ich finde diesen Artikel ganz besonders rührend, weil meine Geburt auch ganz anders verlief als ich es erwartet hab und infolgedessen auch alles weitere. Ich war schrecklich überfordert und kam durch viel Pech an die falschen „Experten“, die mich noch weiter in die Misere stürzten. Hach! Aber Gott sei Dank ist meine Tochter jetzt schon 14 Monate alt und der ungute Trubel des ersten Halbjahres ist vorbei. Oh, ich schweife ab…
Auf jeden Fall danke für den Artikel! Es tut so gut, dass Frauen wie du (die ich auf ein Podest stelle, weil sie soooo viel reflektierter, kompetenter und erfolgreicher als ich zu sein scheinen) auch ihre Ängste und Schwierigkeiten haben und sich manchmal, ganz heimlich, nach „Leidensgenossinnen“ sehnen. Oder sehnten, weil mit einer Vierjährigen ist dann doch wieder alles ganz anders ;)
Liebe Grüße!