Mini and Me

Im Ausland leben mit Kindern: Jonna über ihr Leben in England mit Baby und Kleinkind und den Weg zurück

Ich liebe England – auch abseits des Großstadttrubels. Die Menschen, die Höflichkeit, die Backsteinhäuser, die geilsten Dialekte die ich einfach partout nicht verstehe, schwarzer Tee mit Milch und Fish’n’Chips mit reichlich Vinegar… mmmh!

Während meiner Schulzeit verbrachte ich zwei Wochen bei einer Host-Family nahe Shrewsbury und die Erfahrungen, die ich dort machen durfte bzw. aus damaliger Sicht teilweise auch „musste“, werde ich nie vergessen. Ein paar meiner engen kinderlosen Freundinnen, die wie ich aus sicherer Quelle weiß hier auch mitlesen, werden nun vermutlich ziemlich breit grinsen. Lustig hatten wir’s.

London war eine der ersten Städte, in die ich mich verliebte. Ich weiß noch, wie ich als Jugendliche diese Stadt als so unglaublich lebendig empfand, pulsierend. Ein bisschen wie Wien, nur eben in cool. Mittlerweile ist mir London zu hektisch für jeden Tag und Wien find‘ ich ganz wunderbar, mit seiner etwas gemächlicheren Gangart. Ich weiß es sehr zu schätzen, dass Kaffee bei uns immer noch großteils sitzend und nicht gehend genossen wird.


Die Expatmama, die ich euch hier vorstelle, hat England von einer ganz anderen Seite kennengelernt: als frisch gebackene Mama. Jonna zog mit ihrem Mann ins UK und stellte sich dort gleich zwei Herausforderungen: Dem Expat-Leben und dem Abenteuer „Mamasein“.

Nun ist ihre Rückkehr nach Deutschland schon einige Jahre her und Jonna lässt das Erlebte Revue passieren. Während ihr Mann und sie heimkamen, ließen ihre jungen Kinder das Land, das sie als „zu Hause“ kannten, hinter sich. Über Chancen und Herausforderungen.

Im Ausland leben mit Kindern: Midlands, Großbritannien

Ich heiße Jonna, bin Mama einer Tochter und eines Sohnes, habe 2014 die Expatmamas-Website gegründet, blogge inzwischen regelmäßig und habe ein Buch über meine eigenen Expaterfahrungen in England geschrieben. In meinem Vor-Familienleben habe ich Politikwissenschaft und Publizistik studiert und einige Jahre in einer Unternehmensberatung gearbeitet.

mini and me interviewt jonna von den expatmamas und erfährt etwas über ihre Familie mit der sie für ein paar Jahre in England gelebt hat

Du bist eine ehemalige Expatmama. Wo habt ihr gelebt und wie lange?

Wir haben vier Jahre in Großbritannien gelebt, zwischen London und Birmingham in den Midlands. Meine Tochter war bei unserem Umzug vier Monate alt, mein Sohn ist in England geboren.

Wie kam es dazu?

Es war eine klassische Entsendung, d.h. mein Mann bekam ein sehr interessantes Angebot seines Arbeitgebers, in England zu arbeiten für zunächst zwei Jahre. Der Vertrag wurde dann um noch einmal zwei Jahre verlängert.

(Die Pinnadel auf der Karte sitzt nicht auf der exakten Position. Sie soll ein Gefühl dafür vermitteln, wo sich die „Midlands“ ungefähr befinden.)

Was waren für dich die größten Unterschiede zu Deutschland?

Das ist die schwierigste Frage überhaupt, über die ich immer wieder nachdenke. Für uns fiel der Umzug ins Ausland mit dem Beginn unseres Familienlebens zusammen, d.h. unser vorheriges Leben wurde in JEDER Hinsicht auf den Kopf gestellt. In Deutschland lebten wir als Paar in einer Großstadt, in England als junge Familie in einem Hundert-Seelen-Dorf ohne Infrastruktur. Der Alltag war komplett anders.

Was war das Schönste am Leben in GB für dich?

Die vielen freundlichen Worte. Wenn dich die Kassiererin im Supermarkt mit „Love“ anredet, dann gilt das zwar nicht unbedingt dir persönlich, aber es tut trotzdem gut. Ich habe so viel Wohlwollen erlebt – da war der raue deutsche Umgangston bei der Rückkehr für alle ein Schock. Die sprichwörtliche englische Höflichkeit habe ich täglich erlebt. Manche erzählen, dass seit dem Brexit-Votum jetzt auch in England ein anderer Ton herrscht. Das mag mancherorts so sein, aber sicher nicht grundsätzlich.

Worauf hättest du lieber verzichtet?

Ich konnte mich nie daran gewöhnen, keinen Kinderarzt zu haben. In England wird jeder erstmal vom Allgemeinarzt versorgt (private Versicherung hin oder her). Nur in schwierigen Fällen bekommt man eine Überweisung für die Kinderstation des nächsten Krankenhauses (eine sog. „admission“). Da sitzt man mitunter Stunden, bevor das Kind untersucht wird. Es gibt auch viel weniger Vorsorge-Untersuchungen, da war ich manchmal sehr verunsichert, vor allem beim ersten Kind.

Wie ist das Leben für Kinder in GB verglichen mit Deutschland?

Ich kann vor allem über die Baby- und Kleinkind-Jahre sprechen. Wir hatten von klein an tolle Turn-, Schwimm- und Musik-Gruppen. Das Programm fand ich qualitativ sehr gut, aber es hatte auch seinen Preis. Da es keine Sportvereine im hiesigen Sinne gibt, wird alles von privaten Trägern angeboten und ist dementsprechend teuer. Da es für uns die einzige Möglichkeit war, Anschluss zu finden, war es mir aber die Investition wert.

Auch die Kinderbetreuung ist sehr teuer. Auf dem Land war es nicht leicht, einen Überblick über das Angebot zu bekommen, da die Betreuungseinrichtungen miteinander konkurrieren und man nicht eben mal auf der städtischen Website nach Kitas suchen kann so wie hier. Wer nicht arbeitet, wählt angesichts der Preise nur ein paar Stunden Betreuung. Möglich ist fast alles: nur morgens, nur nachmittags, nur einzelne Tage.

Wir haben für den Einstieg zwei Vormittage á 3 Stunden gewählt. Oft gibt es altershomogene Gruppen, was mir im Nachhinein nicht sinnvoll erschien, denn mit jedem Geburtstag wandert das Kind eine Gruppe höher. Wenn dann die beste Freundin zwei Monate jünger ist, dann hat man Pech, weil die auch erst zwei Monate später die Gruppe wechselt. Es war ein ständiges Kommen und Gehen in den Gruppen, was mir aber leider erst nach ein paar Monaten klar wurde. Wir haben dann in eine Montessori-Pre-School gewechselt, wo es nur eine einzige, altersgemischte Gruppe gab und die Kinder waren deutlich zufriedener.

mini-and-me-mama-lifestyle-blog-wien-leben-mit-kindern-jeannine-mik-jonna-expatmamas-expat-interview-england-autorin-greatbritain-midlands3Die Schulpflicht beginnt in England mit 5 Jahren. Da es aber den Eltern sehr wichtig ist, ihre Kinder auf eine gute Schule zu schicken, sind die sog. „reception classes“ ab 4 sehr wichtig geworden. Denn natürlich bekommen erst die Kinder aus der reception class einen Platz an der Schule und dann die externen Anmeldungen. De facto beginnt also das Schulleben mit 4. Daher werden die Kinder auch in den Kindergärten (Pre-School oder Nursery genannt) ermuntert sich schon mit Buchstaben und Zahlen zu befassen. Sie werden in einem Alter spielerisch gefördert, wo bei uns noch jeder „Um Gottes Willen“ rufen würde. In dem Jahr, als wir nach Deutschland zurückgingen, wäre unsere Tochter also eingeschult worden. Sie konnte das ABC und hätte sich mächtig gefreut.

Was sollte man wissen, wenn man vorhat, nach GB auszuwandern?

Die Lebenshaltungskosten sind auch außerhalb Londons hoch. Wir waren am Anfang z.B. entsetzt über unsere Nebenkosten. Sie waren so hoch, nicht weil die Preise für Gas etc. unbedingt höher sind, aber die schlechte Bauweise (selbst bei neuen Häusern) führt zu einem enormen Verbrauch. Und wie gesagt, Kurse und Kinderbetreuung sind um ein Vielfaches teurer als bei uns.

Die Qualität der Schulen ist sehr unterschiedlich und wird jedes Jahr im sog. Ofsted-Report von der Regierung öffentlich gemacht. Daher der Ansturm auf die guten Schulen und dementsprechend die umliegenden Wohnviertel, denn bei öffentlichen Schulen ist der Wohnort für die Anmeldung ausschlaggebend. Bei privaten Schulen ist das anders, aber die Preise sind astronomisch.

Wie hast du es geschafft, Kind und Karriere zu vereinen? Wie schaffst du es heute?

Ich war in England in Elternzeit. Im ersten Jahr habe ich noch meine Promotion beenden müssen. Das war extrem anstrengend. Die Zeit, die ich für meine Diss brauchte, fehlte mir, um im Alltag Fuß zu fassen. Ich hatte das Gefühl, erst mit dem Abschluss der Arbeit in England richtig angekommen zu sein. Deswegen habe ich die restliche Expat-Zeit ausschließlich der Familie gewidmet.

Nach meiner Rückkehr wollte mich mein Arbeitgeber leider nicht wieder beschäftigen – trotz erfolgreicher Promotion und der England-Erfahrung.

Nach der ersten Enttäuschung habe ich die Zeit genutzt, um mir einen Traum zu erfüllen und mein erstes Buch zu schreiben, ein Buch über unsere Auslandsjahre „Von Babys und Briten – Anekdoten einer Expat-Mama“. Man erlebt als Mama im Ausland viele Höhen und Tiefen und ich habe versucht, sie mit Humor zu nehmen und hoffe, dass sich die ein oder andere darin wieder findet – egal ob in England oder anderswo. Während des Schreibens ist auch die Idee zur Expatmamas-Website gereift.

Inzwischen habe ich zwei Kinder im Gymnasium, da ist ein halber Home-Office-Tag kein Problem.

Woran sollte man denken, wenn man als Familie aus dem Ausland in die „alte“ Heimat zurückkehrt?

Ich habe mir über die Rückkehr viel zu wenig Gedanken gemacht. Für mich stand nur das Organisatorische im Vordergrund. Ich dachte immer: Ich weiß ja, wie der Hase zu Hause läuft.

Dabei habe ich zwei Dinge übersehen: 1. Man selbst verändert sich mehr, als man sich selbst bewusst ist. Vieles im Alltag daheim wirkt auf einmal befremdlich. Man ertappt sich bei Vergleichen, die daheim natürlich niemand hören will. 2. Wenn die Kinder wie bei uns so klein waren bzw. ja noch nicht einmal geboren, dann ist die Rückkehr keine Rückkehr sondern ein Umzug ins Ausland! Sie haben mitunter einen richtigen Kulturschock. Man muss sich also unbedingt Zeit geben, wieder in den deutschen Alltag reinzufinden. Im Grunde wie bei einer Schwangerschaft: Man denkt vorher, mit der Geburt sei alles vorbei, aber der Körper braucht genauso neun Monate, um wieder in den alten Modus zurückzufinden.

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Saht ihr euch mit irgendwelchen Schwierigkeiten konfrontiert?

Organisatorisch ist heimkehren schon deutlich einfacher als ins Ausland zu ziehen.

Emotional ist es sogar schwerer, weil man sich bei der Rückkehr oft keine Umstellungsschwierigkeiten zugesteht. Wenn man ins Ausland geht, erwartet man gewisse Hürden, weil die Kultur fremd ist. Bei der Rückkehr gestehen sich die wenigsten Anpassungsprobleme ein. Wir sind in die gleiche Falle getappt.

Wie ging es den Kindern? Wie verlief die „Umstellung“?

Die Umstellung verlief bei beiden sehr unterschiedlich und in mehreren Schüben. Mein Sohn (damals knapp 3) wurde schon mehrere Wochen vor dem Umzug nach Deutschland extrem anhänglich. Er spürte den Aufbruch, lange bevor er in Form von Kisten sichtbar wurde; es war, als hätte er Angst, von der weiterziehenden Karawane zurückgelassen zu werden. Das war sehr anstrengend. Die ersten Wochen in Deutschland schien er dagegen sichtbar entspannt – bis der Kindergarten begann, mit dem er zu Anfang nicht zurecht kam. Er war in England seit seinem ersten Lebensjahr in einen winzigen Montessori-Kindergarten gegangen (ein großer Raum, vier sehr engagierte Betreuerinnen, sehr strukturierter Tag) und kam mit dem Freispiel-Konzept, den offenen, großen Gruppenräumen und der geringeren persönlichen Aufmerksamkeit nicht zurecht. Er war sichtbar verloren und wurde so im Handumdrehen zur leichten Beute für Piesacker.

Meine Tochter (damals 4) schien den Umbruch besser zu verarbeiten, aber nach den ersten Monaten in Deutschland begann sie, den Stuhlgang zu verweigern. Erst wurden immer komplizierte Klo-Rituale nötig (bestimmtes Buch, bestimmtes Kuscheltier, Tür zu, kein Lärm…), dann ging es nur noch, wenn sie wieder eine Windel bekam, dann gar nicht mehr, bis sie es schaffte, 5 Tage zu verhalten und wir in die Kinderklinik mussten. Das war für alle eine furchtbare Erfahrung. Eine Kinderpsychologin erklärte uns, dass sie den Verlust des gewohnten und damit kontrollierbaren Alltags kompensierte, indem sie ihre Körperfunktionen überkontrollierte.

Man sieht, jedes Kind reagiert anders, aber jedes braucht in dieser Phase viel Zuwendung und man muss genau hinsehen.

Was möchtest du jungen Familien mit auf den Weg geben, die vorhaben, auszuwandern oder kurz vorm Rückzug ins Heimatland stehen?

Sich unbedingt auszutauschen! Sich rechtzeitig Netzwerke zu suchen! Mutig sein, Fragen zu stellen oder Nöte zu teilen! Es muss nicht jeder das Rad neu erfinden, man kann so viel von den Erfahrungen anderer profitieren.

Viel zu schnell denkt man doch immer, alle anderen kriegen das hin, nur ich nicht. Eine Familie in ein anderes Land zu verfrachten (auch in die eigene Heimat) ist eine Herkules-Aufgabe. Selten klappt alles auf Anhieb. Nur reden wir noch zu wenig darüber. Aber nicht nur geteiltes Leid ist halbes Leid, auch geteilte Freude ist doppelte Freude.

Positives und Lustiges mit anderen auszutauschen, kann so befreiend wirken; man merkt, anderen geht es ganz genauso. Den Fauxpas einfach weglachen! Ich hoffe, die Expatmamas können hier einen Impuls schaffen.


expat Mamas auswandern mit kindern logoViele Antworten rund ums Auswandern mit Kind findet ihr bei expatmamas.de. Jonna betreibt die erste deutschsprachige Seite für Frauen, die mit ihren Familien im Ausland leben.

Lebt ihr selbst mit eurer Familie im Ausland und wollt Teil der Interviewreihe sein? Schreib mir eine Mail an mail@mini-and-me.com, ich freu mich auf euch!

Habt ihr Fragen an Jonna?

Wäre für euch ein Leben im Ausland als Expatmama denkbar? 

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